Fasern

Fasern

Fasern. Während des Weltkrieges ist eine Anzahl einheimischer Faserpflanzen [1] zur Verwendung gelangt, die auch, wenigstens teilweise, weiterhin verarbeitet werden dürften, hauptsächlich vielleicht zur Herstellung von Mischgeweben. Geeignet sind nur Pflanzen, deren Fasergehalt mindestens 10–12% des Trockengewichtes beträgt. Die Länge der Fasern muß wenigstens 4–5 mm betragen, damit diese verspinnbar sind. Viele an sich geeignete Pflanzen scheiden aus, weil sie nicht in genügender Menge vorhanden oder zu schwierig gewinnbar sind, ebenso alle, die als Nähr- und Futtermittel dienen. Die große Bedeutung der neuen Faserstoffe, über deren Zukunft Preis und Qualität entscheiden, hat zur Gründung von Forschungsinstituten in Dresden, Karlsruhe, Reutlingen und Sorau geführt, die das ganze Arbeitsgebiet nach allen Richtungen hin behandeln [2].

Fasern aus Monokotyledonen. Weitaus die wichtigste von allen Monokotyledonenfasern ist die Typhafaser [3], gewonnen aus den Blättern der Typhaarten, Rohrkolben, Kolbenschilf. Auf diese wichtige Faserquelle machte zuerst Paul Hoering († 1919) aufmerksam, der in Berlin eine »Studienkommission für Typhaforschung« ins Leben rief, während von botanischer Seite P. Graebner, der Monograph der Typhaceen, sowie A. Zinz um die Erforschung der Lebensbedingungen, der Formen und der Kulturmöglichkeiten von Typha sich große Verdienste erworben haben. Viele Hektar große Bestände der Rohrkolben werden in Deutschland aus Typha latifolia und T. angustifolia gebildet, der Jahresertrag der wildwachsenden Mengen wird auf 10 Millionen kg Faser geschätzt. Der Fasergehalt der Blätter beträgt bei T. latifolia 25–30% der Trockensubstanz, bei T. angustifolia 33–35%. Die Bastzellen durchziehen[185] in zahlreichen Gruppen das Blatt der Länge nach und sind spindelförmig mit schlanker Zuspitzung der Enden 0,54–0,80 mm lang, die Gesamtdicke beträgt 7,5–9,9 μ, die Lumenbreite 1,6–4,3 μ. Die Rohfaser enthält 60–83% Cellulose und 7,8–23,4% Pentosane. Außer der spindelförmigen Bastzellen kommen bedeutend kürzere, stäbchen- bis kistenförmige Sklerenchymzellen mit abgeplatteten oder abgerundeten Enden vor, die bei der Isolierung der Bündel mit Natronlauge mit diesen vereinigt bleiben und, selbst in fertigen Geweben und Mischtuchen, ein vorzügliches Erkennungsmittel der Typhafaser darstellen. Der Formenreichtum von Typha ist groß: eine bis 4,5 m hohe Riesenform T. Hoeringii dürfte eine hybridogene Art sein. Die einzelnen Formen sind in ihrem Fasergehalt sehr wesentlich verschieden. Als Juteersatz hat Typha gute Aussichten, da sie die Reißlänge der Jute erheblich übertrifft. Die Bedeutung der Typha, deren Anbau wünschenswert ist, erstellt daraus, daß 1917 Waren im Werte von etwa 40 Millionen Mark aus ihr erzeugt wurden. Mit der auf Veranlassung von Hoering gegründeten Typha-Verwertungsgesellschaft steht u.a. die Vogtländische Bleicherei- und Appreturanstalt, A.-G. in Weischlitz, in Verbindung, welche die Faser bis zur Spinnfähigkeit aufschließt, während andere sächsische Fabriken den Spinnstoff krempeln und spinnen. Die Rohrkolbenfaser liefert Filze aller Art, Bindfäden, Schnüre, Gurte, Riemen, Säcke, aber sie kann auch für Unterkleidung und Strümpfe verarbeitet werden.

Als Mischfaser, namentlich zur Streckung der Wollvorräte, ist die Torffaser von Eriophorum vaginatum, Wollgras [4], sehr wichtig geworden. Die derben Blattscheiden dieser Pflanze bleiben lange erhalten, sie vertorfen und bilden im Hochmoortorf ganze Lagen (Fasertorf, Fetzentorf, Splittlagen, Lindbast, Schoder, Locken oder Luck, Bullenfleisch). Sie liefern die Torffaser, die sich ziemlich leicht isolieren läßt, da das übrige Gewebe durch den Vertorfungsprozeß zersetzt ist, so daß hier ein besonderer Aufschließungsprozeß nicht mehr notwendig ist. Die Bast fasern von Eriophorum vaginatum sind (infolge der Vertorfung) gebräunt, sehr derbwandig und lang zugespitzt, sie haben zahlreiche Tüpfel, aber keine Streifung. Ihre Länge beträgt höchstens 3 mm. Als Spinnmaterial kommen nur die Eriophorumscheiden (»Locken«) des jüngeren Moostorfes in Frage, während die des älteren, stärker zerfetzten Schwarztorfes zur Herstellung von Pappe und Papier geeignet sind. Der Gehalt des Moostorfes an »Locken« schwankt zwischen 2 bis 8% und mehr. Verarbeiten läßt sich die Torffaser mit geeigneten Spinnmaschinen (z. B der Zschörnerschen) zu Garnen, die dem »Mulegarn« der Baumwollspinnereien ähnlich sind und ziemlich bedeutende Reißfestigkeit besitzen, zumeist unter Mischung mit Woll- und Baum wollabfällen. Da die aus Torffaser gefertigten Gewebe stark hygroskopisch sind, werden sie imprägniert. Außerordentlich ähnlich der Eriophorumfaser sind die gelegentlich im fasertechnisch verarbeiteten Torf vorkommenden Blattscheidenreste von Carex rostrata, C. acutiformis, C. stricta C. gracilis u.a. sowie Scirpus caespitosus.

Von erheblich geringerer Bedeutung sind die Fasern von Scirpus lacustris, Teichsimse [5] sowie Juncus effusus und J. conglomeratus, Binsen. Die einzelnen Bastzellen sind stark verdickt etwa 2 mm lang und von sehr hoher Feinheit (8,5–8,8 μ mittlerer Durchmesser); sie weisen weder Schichten noch Streifung auf und haben nur sehr wenig Tüpfel. Auf dem Querschnitt eines mittelstarken Scirpushalmes wurden insgesamt 14369 Bastfasern gezählt. Infolge der im Innern des Stengels zahlreich vorkommenden großen Interzellularräume wiegt 1 ccm Halmmasse nur 0,087 g (der Flachsstengel z.B. ist viermal schwerer). In technischer Hinsicht ist der Stengel zur Herstellung von Matten, Pferdeschutzhüllen, Weinflaschenhüllen, Körben, Bienenstöcken u.s.w. geeignet, er soll auch zur Herstellung von Packsätteln bei der Hebung von gesunkenen Schiffen Verwendung finden. Aus den Halmen von Scirpus occidentalis in Kalifornien sollen Boote bis 10 Fuß Länge angefertigt werden.

Fasern für Bürsten und Besen liefert die Wurzel von Molinia caerulea, Pfeifengras [6] Dieses Gras soll nach der Trocknung und geeigneter Behandlung bis zur Hälfte des Gewichts eine Faser ergeben, die auch zum Verspinnen geeignet ist. Von 1 ha der auf Mooren in Mitteleuropa massenhaft wachsenden Pflanze lassen sich 7–17000 kg trockenen Grases gewinnen.

Die Verarbeitung der Strohfaser hat in der Gegenwart erheblich größere Bedeutung gewonnen, seitdem es gelungen ist, aus ihr auch eine spinnbare Faser zu Stricken und groben Geweben zu erzielen, die sogenannte Stranfafaser. Man Stellt daraus Säcke her (zur Mehllagerung nicht geeignet), außerdem ist die Strohfaser (Strohpatent) als Füllmaterial und zur Herstellung von Filzen brauchbar. Reisstroh, das durch chemische Prozesse von Leim- und anorganischen Stoffen befreit wird, eignet sich zur Verwendung als Gespinstfaser.

Neuerdings ist es gelungen, die Fasern des Halfa- oder Espartograses anstatt durch Stampfen oder Zerquetschen durch Auskochen zu lösen und sie von ihren harzigen Bestand teilen zu befreien. Die so gereinigte Faser ist glatt, seidenweich, geschmeidig und haltbar, laß: sich sehr gut schwarz färben und sieht dann dem Roßhaar ähnlich; äußerlich ist sie der Wolle sehr ähnlich und zur Herstellung von Säcken und dergleichen sehr brauchbar.

Unter dem Namen Seegras [7] sind eine Reihe von Fasern im Handel, die außer als Polster- oder Packmaterial auch als Textilfasern brauchbar sind. Mit den Gramineen oder Gräsern hat keine der als »Seegras« bezeichneten Textilfasern etwas zu tun. Am bekanntesten ist Zostera marina, eine Potamogetonacee der Meeresküsten, welche die Eigenschaft besitzt, die verschiedenen Appreturstoffe derart zu binden, daß sie besser im Zeug sitzen bleiben und gleichzeitig der Farbe einen stärkeren Glanz verleihen. Bartels erzeugt aus Seegras einen »bandologischen« Stoff. In den deutschen Nord- und Ostseedörfern wird Zostera marina vielfach zum Decken der Dächer verwendet; sie sollen haltbarer sein als Strohdächer. Auf einer zu Pfullendorf im Juli 1919 abgehaltenen Seegrasversteigerung wurde ein Posten Seegras, der mit 500 ℳ veranschlagt war, für 5200 ℳ verkauft. In Holland sind die Seegrasbänke vom Staate verpachtet. In Nordamerika (z.B. Baltimore) findet Seegras gemischt mit Tangen zur Herstellung von geräuschlosem Straßenpflaster Verwendung; es wird zu Würfeln gepreßt, mit einem Drahtnetz[186] umgeben und in siedendes Pech getaucht. Sowohl Zostera wie die sehr nahe verwandte Posidonia sind mit Erfolg zur Gewinnung von Papier verwendet worden. Eine Seegrasart, die an den Küsten Japans in großer Menge vorkommt, Phyllospadix Scouleri Hook., wird neuerdings auf Baumwolleersatz verarbeitet. Die Pflanze wird in Laugenwasser und dann in Wasser, dem etwas Reiskleie zugesetzt ist, gekocht. Nach dem vollständigen Auskochen lösen sich die Fasern. Das Faserlaboratorium in Tokio, wo die Entdeckung gemacht wurde, hat das Verfahren abgekürzt und teilt mit, daß es möglich sein wird, eine Jahresproduktion von ungefähr 375 Millionen Kilogramm zu erreichen. Ein »Seegras« ganz anderer Art ist die Cyperacee Carex brizoides (Haargras, Waldhaar, Waldheu), die besonders im badischen Rheinland und in Oberösterreich gewonnen wird. Dort werden jährlich gegen 25000 Doppelzentner zu Polsterungen, als Pack- und Flechtmaterial sowie zur Herstellung von Seilen in den Handel gebracht.

Neuerdings wird die Gewinnung der Faser der Gattung Convallaria, Maiblume, zur Herstellung eines brauchbaren Juteersatzes angegeben.

Fasern aus Dikotyledonen [8]. In erster Linie ist die Faser der Nessel, Urtica dioica, zu nennen, die Zweifellos die qualitativ beste Faser bietet. Die einzelnen Bastzellen des Stengels sind 50–85 mm und darüber lang, 0,02–0,03 mm dick, mit Längsstreifen und zahlreichen Tüpfelkanälen versehen. Die Nesselfaser zeichnet sich durch eine vorzügliche weiße Farbe, schönen Seidenglanz, Geschmeidigkeit und Weichheit aus und vereinigt in sich in ganz besonderem Maße Fertigkeit und Feinheit. Der Gehalt an Spinnfasern bei den wildgewachsenen Nesselstengeln ist sehr verschieden; er betrug nach Schürhoff je nach der Herkunft auf 100 kg trockener und entblätterter Stengel berechnet etwa 3,4–16%. Die Menge der in Deutschland sammelbaren Brennesselstengel wird auf etwa 100000 Doppelzentner geschätzt, die eine Ausbeute an Fasern von 15–20000 Doppelzentnern im Werte von 2–3 Millionen Mark und nebenbei etwa 30000 Doppelzentner Kraftfutter aus den Blättern und weitere 30000 Doppelzentner Material für Papier- und chemische Fabriken aus den Abfällen ergeben. Um den feldmäßigen Anbau hat sich besonders der Direktor der Deutschen Nesselanbaugesellschaft Wilde verdient gemacht, dessen organisatorischer Tätigkeit es zu danken ist, daß heute nicht nur Versuchsfelder angelegt, sondern auch große Landstrecken Oedlandes der Nesselkultur erschlossen worden sind. 1 ha Flachmoor kann 500 Doppelzentner frische oder 100 Doppelzentner trockene Nesselstengel liefern; aus 1 kg Nesselstengel lassen sich 2–2,5 m Stoff gewinnen. Man kann damit rechnen, daß die Nesselfaser zu einem Preise wird hergestellt werden können, der mit dem für Baumwolle Schritt halten wird. Unter dem Namen Tullner-Edelnessel ist eine Form gezüchtet worden, bei welcher sich im getrockneten Zustande das Holz ausknicken und die Rindenzellen von den Fasern abriffeln lassen, wodurch die Trockenanlagen erspart werden. Die Gewinnung der Faser ist sehr verschieden; nicht alle von den etwa dreißig angemeldeten Patenten haben sich behauptet. Einige haben den Beweis erbracht, daß auch ohne Chemikalien eine Aufschließung des Fasermaterials möglich ist. Als Bahnbrecher der neuen Nesselbestrebungen, auch für die deutschen Nesselfreunde, verdienen die Wiener Friedrich Pick und der Botaniker Osw. Richter genannt zu werden. Namentlich letzterer wußte in Deutschland das allgemeine Interesse für die Nesselfaser zu erwecken. W. Schürhoff, der unabhängig von Pick und Richter Versuche gemacht hatte, ist der Gründer der »Nesselanbaugesellschaft« in Berlin; andere Gesellschaften, wie die »Bayerische Nesselfasergesellschaft« in München, folgten. Die Nesselfaser eignet sich infolge ihrer Fertigkeit und Feinheit zu allen Artikeln, die bisher aus Leinen und Baumwolle hergestellt worden sind (Leib- und Bettwäsche, Spitzen, Gardinen, Blusen und Kleiderstoffe), wie auch zu Mischgeweben mit Wolle und Baumwolle und deren Kunstprodukten. Zu Samten und Plüschen verarbeitet, ist sie sogar wegen ihres Seidenglanzes der Baumwolle überlegen. Es ist gelungen, Reinnesselgarne im regelmäßigen Großbetrieb auf Baumwollspinnmaschinen in seinen Nuancen herzustellen. Die Nessel ist in bezug auf den Wert ihrer Faser zwischen Flachs und Ramie einzureihen. Außer Urtica dioica, große Nessel, kommen hauptsächlich in Betracht Urtica urens, kleine Nessel, und U. cannabina, Hanfnessel. Der Anbau der letzteren, die besonders in Sibirien heimisch ist, dürfte ebenfalls Aussicht auf Erfolg bieten.

Auch der Besenginster, Sarothamnus scoparius [9], wird von der Nesselanbaugesellschaft bewirtschaftet. Er findet sich häufig in den Heidegebieten Westdeutschlands, fehlt jedoch überall, wo Kalkboden herrscht. Der Besenginster enthält eine gute, feste Faser, die in der Rinde der ein- bis zweijährigen Zweige liegt und von ziemlich bedeutender Reißfestigkeit ist, in einer Menge von etwa 20%. Die Ginsterfaser ist als Ersatz für Jute, aber auch für feinere Fasern wertvoll und läßt sich rein oder gemischt mit anderen Fasern verarbeiten. Zur Herstellung feinerer, weicherer Gewebe ist die Mischung mit Kunstwolle, Kunstbaumwolle oder anderen weichen Fasern zu empfehlen. Gemischt mit Flachswerg lassen sich derbe Drelle, Zeltdecken, Plane u.a. daraus herstellen.

Eine wichtige Textilfaser verspricht der Hopfen zu werden, da die großtechnische Gewinnung der Faser 1918 gelungen ist. Die Hopfenfaser ist zwar nicht so sein und edel wie die der Nessel, läßt sich jedoch nach Leinen- und Baumwollart gut verarbeiten. Die Bastzellen des Hopfens sind ähnlich gebaut wie die der Nessel, nur ist meist keine Streifung sichtbar und die Zahl der Tüpfelkanäle viel geringer.

Als wertvoller Ersatz für Jute und Werg kommen die Bastfasern der Weidenrinde in Frage. Die Menge der in Deutschland alljährlich anfallenden Weidenrinde beträgt etwa 60000 Doppelzentner im Werte von 240–300000 ℳ. Verwendet wird der Bast aus ein- bis dreijährigen Zweigen, besonders von der Korbweide, Salix viminalis. Die Weidenrinde enthält 15–30% Bastfasern. Bei der Fasergewinnung, die meist durch Wasserröste erfolgt, ergibt sich als Nebenprodukt Gerbstoff. Der weiße Steinklee (Bokharaklee), Melilotus albus [10], enthält eine brauchbare, feste, schöne Faser. Die Bastzellen sind sehr dickwandig, die Wandung zeigt Streifung und Schichtung, die Zahl der Tüpfel ist nur gering.

[187] Die Lupinen, Lupinusarten [11], enthalten in ihren Stengeln eine derbe, sehr brauchbare Faser, die als Juteersatz in Frage kommt. Aus dem Stroh lassen sich etwa 5% lufttrockene Faser gewinnen.

Nicht ohne Erfolg ist der Meerrettig, Cochlearia armoracia, als Faserersatzpflanze versucht worden. Stengel und größere Blattstiele sind reich an derben Fasern, die als Mischfaser und sogar als Juteersatz verwendbar sind. Die Faser ist etwas gröber als die Typhafaser, der sie an Fertigkeit nahekommt.

Die beim Schneiden der Weinreben, Vitis vinifera, entstehenden Abfälle sind von J. Reinke (Braunschweig) zur Gewinnung der in den Reben enthaltenen Bastfasern empfohlen worden. Der Fasergehalt beträgt 10%.

Erfolg versprach man sich von den Bastfasern des Stengels der beiden häufigsten Weidenröschenarten Epilobium angustifolium und E. hirsutum. T.F. Hanausek [12] machte auf die im Gegensatz zur Jute völlig holzlose Cellulosefaser aufmerksam, deren Reißlänge etwas geringer ist als die der Leinenfaser. Der Fasergehalt der Stengel beträgt etwa 3%. In praktischer Beziehung stand der Erfolg nicht im Einklang mit dem Aufwand, so daß die Epilobiumfaser als Ersatzfaser nicht mehr in Frage kommt.

Algen in der Faserindustrie. Nach langjährigen Versuchen ist es gelungen, aus dem Seetang einen Appreturstoff zu erzeugen, der dazu dienen soll, den Farben einen größeren Glanz zu geben und seidenähnliche Gewebe zu erzeugen. Durch Verbesserung des Verfahrens können jetzt 85% des Rohstoffes ausgenutzt werden.

Holzfaser, Holzcellulose, Kunstseide, Stapelfaser. Die heimischen Nadelhölzer haben durch den Krieg für die deutsche Textilindustrie eine vorher kaum geahnte Bedeutung erlangt. Verarbeitet wird das Holz der Kiefer, Pinus silvestris, Fichte, Picea excelsa, und Tanne, Abies alba, sowie einiger anderer Gehölze durch mechanisches Zerkleinern und nachfolgendes Auskochen unter Einwirkung verdünnter Schwefelsäure (Sulfitcellulose, Sulfitzellstoff) oder Natronlauge (Natroncellulose, Natronzellstoff). Die Unterscheidung von Natron- und Sulfitzellstoff erfolgt am besten nach der von A. Herzog [13] angegebenen Cyaninprobe. Die Objekte werden in eine mit etwas Wasser verdünnte alkoholische Lösung von Cyanin eingelegt, der etwa 1/3 ihres Volumens Glyzerin und einige Tropfen verdünnter Kalilauge zugefügt werden; man erwärmt bis zum Aufkochen und verdrängt dann die Cyaninlösung durch reines Glyzerin. Der Natronzellstoff wird gar nicht oder höchstens nur schwach gefärbt, während beim Sulfitzellstoff Tracheïden, Markstrahlelemente, und die durch ihren hohen Gehalt an Pektinstoffen ausgezeichneten Verdickungen (Tori) der Schließhäute der Hoftüpfel deutlich blau gefärbt erscheinen.

Die Gewinnung von Spinnfasern aus Holz ist nach dem Verfahren von Mitscherlich gelungen; das in dünne Platten zerschnittene Holz wird durch Walzen in Längsstreifen gebracht und dann direkt in Spinnfasern zerlegt.

Ein anderer Weg zur Gewinnung einer Spinnfaser aus Holz geht über das Spinnpapier, das aus dem Holzzellstoff hergestellt wird. Das Spinnpapier wird in schmale Streifen geschnitten und von Spinnmaschinen zu Holzzellstoffgarnen oder Cellulosegarnen zusammengedreht. So werden hergestellt Cellulon, Textilose, Textilit, Xylolin, Silvulin, Sackolin-Säcke, je nach der Zusammensetzung und der chemisch-technischen Behandlung. Die Bezeichnung Papiergarn, die sich für diese Textilien hauptsächlich eingebürgert hat, ist insofern keine glückliche, als sich mit dem Wort Papier sofort die Vorstellung vom Schwachen und Leichtverderblichen verbindet. Heute kommt viel Spinnpapier mit einer Reißlänge von nur 5–7000 m auf den Markt und das daraus hergestellte Garn besitzt nach der Appretur so geringe Fertigkeit, daß sich die daraus hergestellten Gewebe im Gebrauch nicht bewähren. Hingegen bei Papieren von 10–11000 m Reißlänge behält das Garn auch noch nach dem Appretieren 5–6000 m Reißlänge, was für die meisten Gewebe reichlich genügt. Auch ist durch neue wissenschaftliche Unterteilungen der deutschen Forschungsinstitute ermittelt worden, daß sich bei guter Drehung der in der Papierspinnerei verarbeiteten Papierstreifen ein Umeinanderschlingen der einzelnen Zellstofffasern wie bei den klassischen Fasern, also ein tatsächlicher Spinnprozeß vollzieht. Viele »Papiergarne« sind Mischgespinste aus Cellulosespinnstoff und anderen Fasern, so Textil-Zellogarn, Textilit (40% Flachsfaser) u.a. Die Jahreserzeugung des Papiergarnes wird auf etwa 40000 t angegeben.

Die Kunstseide, zu deren Herstellung ebenfalls der Holzzellstoff das Ausgangsmaterial bildet, ist nach den neueren, in Deutschland wesentlich verbesserten Verfahren, erheblich haltbarer geworden als früher, und ist vor allem nicht mehr feuergefährlich. Da die deutsche Kunstseide die echte Seide an Farbenpracht und Glanz der einzelnen Faser und ganzen Gewebe weit übertrifft, kann sie als wichtiger Ersatz für tierische Seide gelten.

Wollseide, Neuschappe oder Stapelfaser [14] ist ein Kunstseideprodukt, entweder Kupferoxydammoniakseide oder hauptsächlich Viskoseseide. Erstere färbt sich im neutralen heißen Bade von Naphthylaminschwarz 4 B dunkelblau, letztere hellblau. Der Name Stapelfaser kommt daher, daß diese einen Stapel besitzt (wie man von einem Stapel bei der Wolle und Baumwolle redet), womit man die für die betreffende Spinnereimaschine geeignete Länge der einzelnen Faser bezeichnet. Die Stapelfaser ist also eine auf künstlichem Wege erzeugte Wolle oder Baumwolle ähnliche Faser von begrenzter Länge, die sich dadurch von den bisher auf künstlichem Wege erzeugten hochglänzenden Fasern unbegrenzter Länge unterscheidet. Als Ersatzprodukt, als Mischmaterial und Streckungsmittel für andere Fasern kann die Stapelfaser gute Dienste leisten, auch als Spinnträger selbst Verwendung finden, aber als Reingewebe kommt sie vorläufig nicht in Betracht. Auf der deutschen Faserausstellung in Leipzig hatte die Zwirnerei Saxonia, Meerane, Erzeugnisse ausgestellt, aus denen zu ersehen war, daß sich die Stapelfaser zur Herstellung der mannigfaltigsten Erzeugnisse der täglichen Kleidung eignet.[188] Die Herstellung der Stapelfaser erfolgt in der Weise, daß die Zellfaser in eine gallertartige Masse gelöst und diese durch ganz seine Siebe, sogenannte Düsen, gepreßt wird, so daß seine Härchen entstehen. Diese Härchen werden in einen dicken Faden gedreht, vereint aus der Düse herausgepreßt, in Strähnen aufgehaspelt, nachher in 4–5 cm lange Stückchen geschnitten und dann getrocknet. Die Härchen trennen sich nun, und es entsteht eine ausgezeichnete Spinnfaser. Das mikroskopische Bild hat Aehnlichkeit mit dem von reiner Naturseide.

Auch die Nadeln der Kiefern, Fichten und Tannen liefern einen Spinnstoff, die sogenannte Waldwolle, die durch Auskochen und mechanisches Zerfasern der Nadeln gewonnen wird. Die Waldwolle wird in Mischung mit Baumwolleabfällen zu Garnen und Geweben (Gesundheitsflanellen) verarbeitet.

Als Kapok brauchbare Frucht- und Samenhaare. Von einiger Bedeutung als Ersatz für die gleichfalls unverspinnbare Kapokfaser, d.h. als Stopf- und Polstermaterial oder zur Herstellung von Watten, sind die am Grunde der nüßchenartigen Frucht entspringenden Haare der Wollgrasarten, Eriophorum, die auf unseren Mooren in sehr bedeutenden Mengen zur Verfügung stehen. Die einzelnen Haare sind bei Eriophorum polystachyum 20–40 mm lang, vielzellig, lang zugespitzt und bestehen aus vier bis sechs Reihen sehr kleiner, rechteckiger Zellen. Die Herstellung brauchbarer Watten, ja sogar von Spinnmaterial aus ihnen, ist neuerdings gelungen.

Von größerer Bedeutung sind die Fasern der an der Blütenachse der Rohrkolben, Typhaarten, stehenden Haare. Da die nicht zu entfernenden Früchtchen winzig klein sind, beeinträchtigen sie den Wert der Faser nicht. Die Länge der einzelnen Haare beträgt 10–18 mm; sie bestehen aus zwei Reihen sehr kleiner Zellen.

Fast wertlos sind die Samenhaare der Pappeln und Weiden, ebenso der 1916/17 so viel genannten Weidenröschen, Epilobium.

Als Kapokersatz wertvoll sind die Samenhaare der syrischen Seidenpflanze, Asclepias syriaca, deren Stengelbast eine gute Spinnfaser liefert. Die in Nordamerika heimische Pflanze wird bei uns vielfach als Bienenfutter oder Zierpflanze gehalten. Die Samenhaare sind 25–40 mm lang, ihr Glanz seidenartig (»vegetabilische Seide«), allein ihre Verspinnbarkeit außerordentlich gering.

Die sehr oft als Ersatz für Baumwolle genannten Frucht- oder Pappushaare der Kompositen, besonders der Disteln, sind wegen ihrer Sprödigkeit und Härte zum Verspinnen ungeeignet und als Kapokersatz ganz minderwertig.

Eine Flechte, Bryopogon jubatum [15], bietet nach Versuchen einen geeigneten Ersatz für Watte. Das aus der keimfrei gemachten Flechte hergestellte Erzeugnis m wohl etwas derb, allein die Fasern werden, wenn sie mit Flüssigkeiten in Berührung kommen, weich und saugen diese auf, wenn auch nicht in gleichem Maße wie echte Watte.


Literatur: [1] E. Ulbrich, Fasern in L. Diels, Ersatzstoffe aus dem Pflanzenreich, Stuttgart 1918, S. 318–388, dortselbst reiche Literaturnachweise; K. Süvern, Fasern. Spinnstoffe i. J. 1917 u. 1918, Zeitschr. f. angew. Chemie 1919, S. 115–121. – [2] Vgl. die Fachzeitschriften Neue Faserstoffe, I, 1919, München; Kunststoffe, VIII, 1918; Mitt. d. Forschungsstelle Sorau des Verbandes Deutscher Leinenindustrieller, I, 1919. – [3] P. Graebner, E. Medlewska und A. Zinz, Typha als Nutzpflanze in Angew. Botanik, Zeitschr. f. Erforschung der Nutzpflanzen, I, 1919, S. 30–49 u. S. 98–103; P. Graebner, Das Kolbenschilf als deutsche Faserpflanze in Der Staatsbedarf, V, 1919, S. 221–223. – [4] W. Magnus, Einige Bemerkungen über das Vorkommen und die Gewinnung von Ersatzfaserstoffen in den deutschen Mooren, Jahresber. d. Vereinig, f. angewandte Botanik, XIII, 1915, S. 17 ff.; E. Ulbrich, Die Bedeutung der Wollgräser (Eriophorum-Arten) für die heimische Faserrohstoffversorgung, Neue Faserstoffe, I 1919, S. 89–127. – [5] A. Herzog, Ueber den anatomischen Bau des Stengels der Teichbinse (Scirpus lacustris), Mitt. d. Forschungsstelle Sorau, I, 1919, S. 5–7. – [6] E. Ulbrich, Wurzeln einheimischer Gräser als Faserstoffe, Neue Faserstoffe, I, 1919, S. 17–18. – [7] Ders., »Seegras« als Textilfaser, Neue Faserstoffe, I, 1919, Juniheft. – [8] O. Richter, Die bisherigen Ergebnisse über den Nesselanbau, Jung-Oesterr. Verlag, Wien 1917, Heft 2; Ders., Der Anbau der Brennessel, Naturwiss. Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtsch., XV, 1917, S. 1–14; P. Graebner, Brennessel und Hopfen, besonders als Faserpflanzen, Merkblätter des Botanischen Gartens und Museums zu Berlin-Dahlem, 1917, Nr. 6; E.O. Rasser, Die Nesselfaser, Neue Faserstoffe, I, 1919, S. 4–6, 18–22. – [9] E. Ulbrich, Der Besenginster Sarothamnus scoparius (L.) Koch als Faserpflanze, Neue Faserstoffe I, 1919, S. 2–4. – [10] S. Marschik, Die Melilotenfaser, eine neue heimische Gespinstfaser, Leipzig, Monatsschr. Textilindustrie, XXXI, 1916, S. 1–2. – [11] R. Schwede, Ueber die Lupinenfaser, Jahresber. d. Vereinig, f. angewandte Botanik, XV, 1917, S. 80–89. – [12] T.E. Hanausek, Die Weidenröschenfaser, Der Textilmeister, Wien 1915, Nr. 20, S. 151–153. – [13] A. Herzog, Zur Unterscheidung von Natron- und Sulfitzellstoff, Mitt. d. Forschungsstelle Sorau, I, 1919, S. 6–7. – [14] K. Süvern, Zur Kenntnis der Stapelfaser, Neue Faserstoffe, I, 1919, S. 8–9 (mit Mikrophotographien von Prof. W. Scheffer). – [15] Zeitschr. f. Abfallverwertung, 1917, S. 23.

Ernst Gilg. Julius Schuster.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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