Dämmerung

Dämmerung

Dämmerung, der Uebergang zwischen der vollen Tageshelligkeit und dem Dunkel der Nacht.

Man unterscheidet gewöhnlich zwischen »bürgerlicher« und »astronomischer« Dämmerung. Die erstere rechnet man vom Moment des Untergangs der Sonne bis zu einer Zeit, zu der es eben noch möglich ist, gewöhnliche Druckschrift zu lesen, oder bis zum Erscheinen der hellsten Sterne, und das Ende der astronomischen Dämmerung letzt man dann an, wenn alle dem bloßen Auge überhaupt wahrnehmbaren Sterne gesehen werden können. Aus dieser Definition geht schon hervor, daß die Grenzen der Dämmerung nicht besonders sicher angegeben werden können. Zur Zeit des Endes der bürgerlichen Dämmerung befindet sich die Sonne etwa 6° unter dem Horizont, und wenn die astronomische Dämmerung endigt, deren Zeitpunkt auch aus dem Verschwinden des sogenannten Dämmerungssegmentes, einem hellen Bogen am Westhimmel, der sich nach Untergang der Sonne häufig recht deutlich wahrnehmen läßt, bestimmt werden kann, befindet sich die Sonne etwa 18° unter dem Horizont.

Scharfe Angaben für die Depression der Sonne beim Ende oder Anfang der Dämmerung lassen sich also nicht machen; die Dämmerungskreise sind mit dem Zustand der Luft jedenfalls veränderlich und wohl immer für Morgen- und Abenddämmerung verschieden anzunehmen [1]. Die Dauer der Dämmerung ergibt sich bei angenommenem Dämmerungskreis (– h) sehr einfach als Differenz der Stundenwinkel der Sonne in der Zenitdistanz (90° + h) und zur Zeit des Aufgangs oder Untergangs (wobei Rücksicht auf die sogenannte Tagverlängerung zu nehmen ist, vgl. den Art. Auf- und Untergang der Gestirne) [2]. Mit der Annahme h1 = –6° folgt hier eine Tabelle der bürgerlichen Dämmerungsdauer (für Mitteleuropa) in Minuten:


Dämmerung

Die Tabelle zeigt, daß die Dämmerungsdauer mit zunehmender geographischer Breite im Laufe des Jahres immer mehr schwankt. Mit der Annahme h2 = –18° ist aus der folgenden Tabelle die Dauer der astronomischen Dämmerung (für die Breiten 40–60°, also Madrid-Konstantinopel bis Christiania-Petersburg) in Stunden und Minuten zu entnehmen:


Dämmerung

[530] Wo keine Zahl in den Tabellen fleht, bedeutet dies, daß die Sonne die Tiefe von 18° unter dem Horizont zum angegebenen Datum und in der angegebenen Breite überhaupt nicht erreicht, so daß die astronomische Dämmerung die ganze Nacht dauert. Die erste Tabelle zeigt, daß in Süddeutschland (49°) z.B. die kürzeste bürgerliche Dämmerung (34 Minuten) Mitte März und Anfang Oktober eintritt (bei einer Sonnendeklination von wenigen Graden Süd) [6]. – Eine durch Jahrhunderte sehr berühmt gewesene Aufgabe ist die der »kürzesten Dämmerung«; mit ihr haben sich schon die ersten ausführlichen modernen Schriftsteller über die Dämmerungserscheinungen beschäftigt [3]. Die Aufgabe lautet: Es ist der Tag anzugeben, an dem die Dämmerung, bei gegebener geographischer Breite des Beobachtungsorts, die kürzeste Dauer hat. Die Aufgabe hat eine große Literatur hervorgerufen [4]; lange vor Erfindung der Infinitesimalrechnung gestellt, ist sie in der Tat einer ganz elementaren Behandlung fähig [5].


Literatur: [1] Vgl. Literaturangaben dazu, z.B. Wolf, Handbuch der Astronomie, I, 2, Zürich 1891, S. 476. – [2] Vollständige elementare Entwicklung, z.B. bei Hammer, Trigonometrie, Stuttgart 1885, S. 299–303. – [3] Als erster vielleicht Nonius, De crepusculis liber unius, Lissabon 1542. – [4] Gesammelt, für die ältere Zeit ziemlich vollständig, in der großen Bibliographie générale de 1'Astronomie von Houzeau und Lancaster, Brüssel, von 1882 an; das wichtigste Neuere (Joh. und Jak. Bernoulli, die sich über 5 Jahre lang mit der Aufgabe beschäftigten, Lambert, Euler, d'Alembert, d'Arrest, Stoll u.s.w.) s.a. bei Wolf, a.a.O., S. 477, oder bei Günther, Mathem. Geogr., Stuttgart 1890, S. 154; zur Dämmerung überhaupt ebend., S. 150 ff. – [5] Vgl. z.B. den Artikel »Dämmerung« (von Brandes) in Gehlers Physikal. Wörterbuch, 2. Aufl., Bd. 2, Leipzig 1826, oder bei Hammer, a.a.O. – [6] Eine Reihe von Schilderungen des Verlaufes der Dämmerung und damit zusammenhängender Erscheinungen vgl. bei Arrhenius, S.A., Lehrbuch der kosmischen Physik, Leipzig 1903, S. 853 ff.

Ambronn.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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