Bleiweiß [1]

Bleiweiß [1]

Bleiweiß (Berlinerweiß, Hamburgerweiß, Kremnitzerweiß, Kremserweiß, Venetianerbleiweiß, Schieferweiß, Holländisches Bleiweiß, Villacher Blei weiß, Vitriolbleiweiß, fälschlich, namentlich in Deutschland und der Schweiz, auch Bleioxyd genannt), die älteste bekannte weiße Körperfarbe mit ausgedehnter Anwendung sowohl als Leim- als auch als Oel- und Lackfarbe, für Anstreicherei und Kunstzwecke gleich vorzüglich verwendbar.

Die Farbe ist sehr empfindlich gegen Schwefelwasserstoff, durch den sie gebräunt und selbst geschwärzt wird. Anfänglich gelbliche Anstriche werden aber, wenn genügend belichtet, weiß. Bleiweiß läßt sich gleich leicht mit Leinöl wie mit Wasser zu einer seinen Farbe anreiben und besitzt die Eigentümlichkeit, bei Zusatz von Leinöl zur Wasserfarbe sich mit dem Oel mechanisch zu verbinden, Wasser auszuscheiden, wovon man namentlich bei Herstellung sehr dick geriebener Oelfarbe Gebrauch macht. Hervorragende Vorteile sind große Deckkraft und rein weißer Farbenton in reinem Zustande; die Deckkraft nimmt aber durch verbilligende Zusätze, wie Schwerspat, Leichtspat u.s.w., ab. Bleiweiß kommt in Pulverform als (fälschlich) Bleioxyd, chemisch reines Bleiweiß, in Hütchenform (mit einem Bindemittel angemacht, und in Formen gepreßt) als Kremserweiß, Venetianerweiß, Hamburgerweiß, Stettinerweiß, in viereckigen Tafeln als Kremserweiß, in schieferartigen weißen Blättchen, wie sie von den Bleiplatten abgeklopft werden, als Schieferweiß in den Handel. Von allen diesen Sorten sind reines, unvermischtes Bleiweiß nur Kremserweiß, Bleioxyd, technisch reines Bleiweiß, Schieferweiß, während alle andern beschwerende Zusätze enthalten, dergestalt, daß Venetianerweiß die beste, Holländerweiß die schlechteste gemischte Qualität bezeichnet. Alles Bleiweiß wird als reines Bleiweiß (kohlensaures Bleioxyd mit Bleihydroxyd, nebst durch die Fabrikation bedingtem Gehalte an schwefelsaurem bezw. essigsaurem Bleioxyd) dargestellt; nachträglich mit Schwerspat u.s.w. gemischte Sorten werden von den Fabriken nur auf besonderes Verlangen geliefert. Der wegen der sehr in Abnahme begriffenen Bleikrankheit unter den damit Arbeitenden geführte Kampf gegen die Verwendung des Bleiweißes hat wenig Erfolg, weil Bleiweiß für viele Zwecke ganz unentbehrlich ist und wohl kaum durch eine andre weiße Körperfarbe vollwertig ersetzt werden dürfte (vgl. a. die Literatur zu Bleifarben).

Prinzip der Fabrikation ist, das dreibasische Bleikarbonat direkt mit Kohlensäure zu behandeln, damit sich zweibasisches Bleikarbonat bildet und die zurückbleibende Flüssigkeit neutrales Bleiacetat enthält, das wiederum in das dreibasische Salz übergeführt und neuerlich zur[79] Fabrikation benutzt werden kann. Die Methoden zerfallen in solche, bei denen 1. metallisches Blei der Einwirkung von essigsauren Dämpfen unterworfen wird, während das Gefäß, in dem dies geschieht, einer höheren Temperatur ausgesetzt ist (holländische Methode), 2. metallisches Blei in eignen Kammern künstlich erzeugter Wärme (durch Heizung) und der Einwirkung von Essigsäuredämpfen ausgesetzt wird (deutsche oder österreichische Methode), 3. basisch essigsaures Bleioxyd (Bleiacetat) durch eingeleitete Kohlensäure zersetzt (französisches Verfahren) und 4. Bleioxyd mit einer Bleizuckerlösung behandelt wird (englisches Verfahren). Bei dem primitiven holländischen Verfahren werden die 1–2 mm dicken Bleiplatten in 5–6 cm breite Streifen geschnitten, spiralförmig eingerollt in irdene Töpfe von 11 Gehalt eingesetzt, in die eine gewisse Menge Essig gegossen wurde, und diese Töpfe nun in Gruben gebracht, die 1000–1200 Töpfe zu fassen vermögen. Auf jede Bleispirale legt man 3–4 Bleiplatten, deren oberste den Deckel bildet, bringt eine Lage Bretter darauf, setzt weitere Töpfe auf und so fort, bis die Grube voll ist. Die Grube wird mit Kuhmist, Gerberlohe angefüllt und durch ein Dach das Ganze vor der Einwirkung des Regens geschützt. Die eintretende Gärung bringt die Temperatur auf ca. 45°C, genügend, um in 6–10 Wochen den Bleiweißbildungsprozeß durch Entwicklung von Essigsäure, die dann durch die Gärung in Kohlensäure umgewandelt wird, zu bewerkstelligen. Man erhält so Bleiweiß und neutrales essigsaures Bleioxyd; ersteres wird von den Platten abgeklopft (Schieferweiß), gesiebt und naß gemahlen, hierauf getrocknet. Bersch [1] unterscheidet noch zwischen hartem und weichem Bleiweiß, Unterschiede, die durch die Art der Naßmahlung bedingt werden. Nach dem deutschen oder österreichischen Verfahren hängt man dünne rauhe Bleiplatten über Latten in hölzernen Karten auf, die außerdem mit einer den Boden bedeckenden Mischung von Essig und Weingeläger beschickt und in Kammern gebracht werden, in' denen man eine Temperatur von 30–35°C. unterhält. Nach einem verbesserten Verfahren werden die Bleiplatten in dem oberen Stockwerke eines Gebäudes aufgehängt, in dessen unteren Räumen Essigsäure und Kohlensäure entwickelt werden; bei 60–90°C. schreitet die Bleiweißbildung sehr schnell vorwärts. Die Unsicherheit, die obwaltet, weil man die Mengen von Essigsäure und Kohlensäure nicht kontrollieren kann, läßt sich beseitigen, wenn man Gasuhren zum Abmessen benutzt. Nach dem Verfahren von Majer [3] läßt man Wasserdampf gleichzeitig mit Essigsäuredampf in die mit Bleiplatten gefüllten Kammern treten, um basisches Bleiacetat zu bilden, wozu 12 Stunden nötig sind; dann wird Kohlensäure in die Kammer geleitet, die, auf ca. 60°C. erhitzt,. das Bleiacetat in Bleiweiß umwandelt. Die verbleibende Menge Bleiacetat wird schließlich durch Ammoniak zersetzt und das neugebildete Ammoniaksalz durch überhitzten Wasserdampf ausgetrieben; das Bleiweiß wird dann wie früher von den noch verbleibenden Bleiresten durch Sieben getrennt und naß gemahlen. Bei der französischen Methode wird entweder metallisches Blei oder Bleiglätte in Essigsäure aufgelöst, bis die Lösung eine Dichte von 17–18° Bé zeigt, dieselbe abgegossen und Kohlensäure durch Druck eingetrieben; das Bleiweiß schlägt sich zu Boden, während die Lösung von neutralem essigsauren Bleioxyd wieder verwendet wird, wobei man kleine Mengen von Essig zusetzen muß. Das Bleiweiß wird wiederholt ausgewaschen und bildet nach dem Trocknen ein sehr seines Pulver; das Mahlen entfällt bei diesem Verfahren; auch natürliche, dem Boden entströmende Kohlensäure kann bei diesem Verfahren benutzt werden. Bei der englischen Methode, ziemlich außer Gebrauch gekommen, wird Bleiglätte mit schwacher Bleiacetatlösung zu steifem Brei angemacht, den man der Einwirkung der Kohlensäure aussetzt; durch beständiges Wenden des Breies mit Hilfe von kannelierten Walzen oder Drehen in Fässern, durch deren hohle Achse Kohlensäure zugeleitet wird, sorgt man dafür, daß beständig neue Mengen des Breies mit Kohlensäure in Berührung kommen. Nach diesem Verfahren erhält man nur dann ein tadelloses Produkt, wenn man ganz reine Bleiglätte, frei von Eisen- und Kupferoxyd, verwendet. An Orten, wo Ammoniak billig zu beschaffen ist, kann man die rohe Glätte durch Behandeln mit demselben von Kupferoxyd befreien, während Eisenoxyd nicht beseitigt werden kann und eine Gelbfärbung verursacht.

Auf elektrolytischem Wege erzeugtes Bleiweiß zeichnet sich durch große Weiße und besondere Feinheit aus, doch hat man dieses Darstellungsverfahren wieder verlassen. Versuche ... Bleiweiß aus Bleisulfat (Abfallprodukt der Kattundruckereien) herzustellen, haben keine praktische oder wenigstens keine dauernde Anwendung gefunden. Auch das Pattinsonweiß aus Chlorblei und Magnesiumkarbonat, das Barlettweiß aus zinkblendehaltigem Bleiglanz durch Rösten bei Luftzutritt, wobei Bleisulfat und Zinkoxyd entstehen, können keinen Anspruch auf die Bezeichnung Bleiweiß machen. – Die verschiedenen Fabrikationsmethoden liefern, wenngleich bei allen ein gleiches Produkt angestrebt wird, Bleiweiße von verschiedener Deckkraft; so steht das nach dem französischen Verfahren gewonnene Produkt den deutschen und holländischen Erzeugnissen weit nach. Dieser Unterschied hat seine Ursache nur in der Verschiedenheit der Dichte und Teilbarkeit der einzelnen Sorten, so daß beispielsweise von einer Sorte doppelt so viel Bleiweiß nötig ist, um eine gleichgroße Fläche zu decken, als von einer andern. Der Anstrich mit der weniger deckenden Sorte erfordert aber auch dem Gewichte nach nur halb so viel Material.


Literatur: [1] Bersch, Mineral- und Lackfarben, 2. Aufl., Wien 1893. – [2] Gentele, Lehrbuch der Farbenfabrikation, 2. Aufl., Braunschweig 1880. – [3] Mierczinski, Erd-, Mineral- und Lackfarben, 4. Aufl., Weimar 1881. S.a. Bleifarben und Bleikarbonat.

Andés.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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