Koalitionsrecht [1]

Koalitionsrecht [1]

Koalitionsrecht (Koalitionsfreiheit), das gesetzliche Recht, sich zur gemeinsamen Förderung bestimmter Interessen zu vereinigen. Man spricht insbesondere von einem Koalitionsrecht der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als dem Recht der Vereinigung dieser Klassen zum Zweck der möglichst günstigen Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Die Koalition der Arbeitgeber kommt in den Arbeitgeber-(Unternehmer-) verbänden, die der Arbeitnehmer in den Arbeitervereinen (Organisationen, Berufsvereinen, Gewerkvereinen, Gewerkschaften u.s.w.) zum besonderen Ausdruck. Im engeren Sinne wird unter Koalitionsrecht (Koalitionsfreiheit) nur dasjenige der Arbeiter verbanden [1].

Die Koalition der Arbeiter war früher allgemein verboten und strafbar. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika wurde durch die Reform der Verfassung von 1789 ein allgemeines Vereins- und Versammlungsrecht gewährleistet. In andern Staaten erfolgte die Aufhebung der Koalitionsverbote für die Arbeiter erst im vorigen Jahrhundert, zuerst in England, später in Frankreich, Belgien, Deutschland, Oesterreich und Holland. In Italien, wo zwar im übrigen volle Freiheit der Assoziation besteht, ist mit Ausnahme von Toskana die Koalition zum Zweck der Lohnerhöhung jetzt noch strafbar. In Deutschland erfolgte die allgemeine gesetzliche Einführung des Koalitionsrechts für die gewerblichen Arbeiter durch die Reichsgewerbeordnung von 1869 [2]. Der § 152 derselben bestimmt: »Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen [3], Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben. Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letzterem weder Klage noch Einrede statt.« Nach § 153 der Gewerbeordnung wird jedoch »wer andre durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andre durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.« Die vorstehenden Bestimmungen gelten für alle unter die Gewerbeordnung fallenden Gewerbebetriebe einschließlich der Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüche oder Gruben, finden dagegen keine Anwendung auf diejenigen Betriebe und Personen, die nicht unter die Gewerbeordnung fallen, vor allem also nicht auf die Eisenbahnbetriebe, die landwirtschaftlichen Arbeiter und das Gesinde. Soweit das Koalitionsrecht nicht durch reichsgesetzliche Bestimmungen geregelt ist, finden die landesgesetzlichen Vorschriften Anwendung. Das Reichsgesetz betreffend das Vereinswesen vom 11. Dezember 1899 (Reichsgesetzblatt S. 699) bestimmt, daß inländische Vereine jeder Art miteinander in Verbindung treten dürfen. Die Auslegung der genannten Bestimmungen der Gewerbeordnung hat schon zu manchen Zweifeln Anlaß gegeben, auf die hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden kann. Hervorgehoben sei folgendes: Die Verhängung des Boykotts über einen Arbeitgeber wird an sich als nicht verboten zu betrachten, doch darf damit keine Verrufserklärung verbunden sein; dasselbe gilt für die Aufstellung sogenannter schwarzer Listen, durch die vor der Annahme bestimmter Arbeiter gewarnt wird. Die Vereinigung zum Streik wird nicht dadurch unzulässig, daß der Streik mit Vertragsbruch verbunden ist. Die privatrechtlichen Folgen des Vertragsbruchs bleiben aber unberührt (s.a. Vertragsbruch). Das sogenannte Streikpostenstehen, das den Zweck verfolgt, arbeitswillige Arbeiter (Streikbrecher) von Aufnahme der Arbeit abzuhalten, ist nicht nach § 153 der Gewerbeordnung strafbar; dagegen können dabei bewirkte Störungen des Verkehrs, Belästigungen des Publikums und Bedrohungen der Arbeitswilligen nach den allgemeinen Strafbestimmungen geahndet werden. Das englische Gesetz vom 21. Dezember 1906, betreffend die Gewerkvereine und ihre gewerblichen Arbeitsstreitigkeiten, bestimmt, daß Personen, die für sich selbst oder für einen Gewerkverein oder für einen Arbeitgeber oder eine einzelne Firma in bezug auf oder zur Förderung einer gewerblichen Streitigkeit handeln, es gesetzlich erlaubt sein soll, sich an oder nahe einem Hause oder Platze, wo eine Person wohnt oder arbeitet oder beschäftigt ist oder sich zufällig befindet, aufzuhalten, wenn dieses lediglich zu dem Zwecke geschieht, in friedlicher Weise Nachrichten zu erhalten oder mitzuteilen oder eine Person friedlich zu überreden, zu arbeiten oder sich der Arbeit zu enthalten [4].

Mittels des Koalitionsrechts haben die dem Unternehmer gegenüber an sich schwächeren Arbeiter die Möglichkeit, ihre Ansprüche durchzusetzen, eventuell durch das Kampfmittel der Arbeitseinstellung (des Streiks), der die Aussperrung auf selten der Arbeitgeber gegenübersteht (s.a. die Art. Arbeitseinstellung und Aussperrung). Das Koalitionsrecht ermöglicht aber auch gemeinsame Vereinbarungen zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeiter über die Arbeitsbedingungen (Tarifverträge), die eine durchaus segensreiche Wirkung haben können. Die Ueberzeugung von der in der Freiheit des Arbeitsvertrags liegenden Gleichberechtigung der Arbeiter und der Arbeitgeber auf diesem Gebiet bricht sich immer mehr Bahn. Ihre Grenzen muß die Betätigung des Koalitionsrechts haben in der Rücksicht auf die berechtigten öffentlichen und privaten Interessen. Zum Schutz der öffentlichen Interessen wird der Ausschluß der Streikfreiheit gefordert insbesondere für Transportunternehmungen (Eisenbahnen, Straßenbahnen), Gas- und Elektrizitätswerke, Wasserwerke, einzelne Nahrungsmittelgewerbe. Eine zugleich diese Interessen und die berechtigten Interessen der Arbeiter wahrende Regelung ist nicht leicht. Mit Recht abgelehnt wird ein Streikrecht der öffentlichen Beamten, deren Dienstverhältnisse auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhen. Zum Schutz berechtigter privater Interessen muß Koalitionsfreiheit auch nach der Richtung verlangt werden, daß der einzelne Arbeitgeber oder[533] Arbeitnehmer nicht zum Beitritt zu einer Vereinigung gezwungen, namentlich also auch kein Streikzwang geübt werden kann. Soweit § 153 der Gewerbeordnung oder die allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen Anwendung finden, ist in Deutschland eine Handhabe geboten solchem Koalitionszwang entgegenzutreten. Mehrfach wurde versucht, die gesetzlichen Bestimmungen gegen den Koalitionszwang zu verschärfen, so namentlich im Jahre 1899 durch dem beim Deutschen Reichstag eingebrachten Gesetzentwurf zum Schütze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses, der auf lebhaften Widerspruch fließ und fast allgemein abgelehnt wurde (sogenannte Zuchthausvorlage). Fordert man auf der einen Seite in dem eben angegebenen Sinne Koalitionsfreiheit von selten der Arbeiter, so wird auf der andern Seite auch der von Arbeitgebern gegen Arbeiter ausgeübte Zwang, keiner Organisation beizutreten, auszuschließen sein. Eine Ausgestaltung der gesetzlichen Bestimmungen in dieser Richtung wird denn auch in Deutschland in der Wissenschaft und von den politischen Parteien lebhaft gefordert. Weiter wird gewünscht, daß der § 152 der Gewerbeordnung nicht nur auf die Erlangung besserer, sondern auch auf die Erhaltung bestehender Arbeits- und Lohnverhältnisse Anwendung finden soll und daß sich die entsprechen den Verabredungen und Vereinigungen nicht nur auf die individuellen Interessen der sich Verabredenden oder Vereinigenden, sondern auch auf die Interessen der Arbeitgeber und Arbeiter im allgemeinen sowie auf Veränderungen der Gesetzgebung richten dürfen. Eine dringende Forderung ist sodann die gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse, namentlich der Rechtsfähigkeit der gewerblichen Berufsvereine, eine Forderung, mit der Hand in Hand geht diejenige nach einer freieren Ausgestaltung des Vereins- und Versammlungsrechts. Ein dem Deutschen Reichstag im Jahr 1906 vorgelegter Gesetzentwurf betreffend gewerbliche Berufsvereine gelangte nicht zur Verabschiedung. Bemerkenswerte Regelung in England durch Gesetz vom 21. Dezember 1906, worin unter anderem bestimmt ist, daß eine Haftpflicht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände bei Arbeitskämpfen nicht besteht, in [4].


Literatur: [1] v. Schönberg, Handbuch der politischen Oekonomie, 4. Aufl., Bd. 2, 2. Halbbd., Tübingen 1898, S. 67 ff. u. 172; Biermer, Art. »Koalition und Koalitionsverbote« im Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben von Elster, 2. Aufl., Jena 1907, 9. Lief., S. 175 ff.; Stieda, Art. »Koalition und Koalitionsverbote« im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, herausgegeben von Conrad, Elster, Lexis und Loening, 2. Aufl., Jena 1902, Bd. 5, S. 120 ff., alle drei mit weiteren Verweisen. – [2] S. die Kommentare zur Gewerbeordnung. – [3] Zu den Gehilfen gehören auch die Werkmeister, Betriebsbeamten und Techniker. – [4] Reichsarbeitsblatt von 1907, Nr. 2, S. 150.

Köhler.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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