Gitterträger

Gitterträger

Gitterträger nannte man Träger, welche aus dem Blechträger (s.d.) entstanden, wenn die Blechwand durch ein Gitter aus einzeln in den Kreuzungspunkten vernieteten Stäben ersetzt wurde.

Da dies Gitter bei genügender Vernietung als Ganzes wirkt, so besteht ein Unterschied zwischen Gitterträgern und den Fachwerkträgern (s.d.), bei welchen die einzelnen Stäbe der Theorie nach für sich widerstehen, Vernietungen in etwaigen Kreuzungspunkten der Stäbe nicht angenommen sind und bei der Berechnung der Stabkräfte in allen Knotenpunkten Gelenke (s.d.) vorausgesetzt werden. Mit der Verdrängung der Gitterträger durch die Fachwerkträger wurde freilich über jenen Namen mitunter anders verfügt, wie z.B. Winkler alle Fachwerkträger als Gitterträger bezeichnete [3], [6] und den Namen Fachwerk auf Träger mit Vertikalen (Ständerfachwerke) beschränkte. Da jedoch der Gitterträger in obigem Sinne der Geschichte wie noch der Gegenwart des Brückenbaues angehört und meist eine andre Berechnung als der Fachwerkträger in Anlehnung an diejenige des Blechträgers erfuhr, welcher auch in[536] neuerer Zeit wieder Beachtung geschenkt wurde [9]–[12], [14], so kann eine besondere Bezeichnung jener Träger keineswegs als überflüssig gelten.

Bei der Berechnung von Gitterträgern werden letztere entweder als Fachwerke mehrfachen Systems behandelt, in welcher Beziehung auf dieses Stichwort verwiesen werden kann, oder man geht von den Momenten und Querkräften in Schnitten durch die Mitten der zu berechnenden Stäbe aus (s. Angriffsmoment, Schnittkräfte). Diese Schnitte werden von den einen bei Ableitung der Beanspruchungen von Füllungsgliedern parallel der augenblicklich nicht zu berechnenden Gliederschar (Fig. 1), bei Ableitung der Beanspruchungen von Gurtungsstäben nach dem diagonal gegenüber liegenden Knotenpunkt der andern Gurtung gelegt (Fig. 2), wobei dieser »Gegenpunkt« als Drehpunkt für die Schnittmomente dient, während andre die Schnitte wie bei Blechträgern als »Querschnitte« für Balken vertikal (Fig. 3), für Bogen senkrecht der angenommenen Bogenachse führen (Fig. 4) und den Drehpunkt für die Schnittmomente in den Achspunkten dieser Schnitte annehmen. Infolge der gemachten Vernachlässigungen trifft das erstere Verfahren meist schließlich mit dem letzteren zusammen ([6], S. 35, 36), und beide laufen im allgemeinen auf die Annahme hinaus, daß die Gurtungen den Momenten, die Füllungsglieder den Querkräften allein zu widerstehen haben und die Querkraft sich gleichmäßig auf die vom Schnitte getroffenen Füllungsglieder verteilt.

Unter diesen Voraussetzungen erhält man für den gewöhnlichen Fall von Gitterbalken mit horizontalen Gurtungen der Schwerpunktsentfernung h die Beanspruchung eines Obergurtstabs und Untergurtstabs, wenn Mx das Moment im Querschnitt x (Moment der äußeren Kräfte links von x) durch die Mitte des betreffenden Stabs bedeutet und Zug als positiv gilt:


Gitterträger

und die Beanspruchung eines Füllungsglieds, welches um δ bezw. γ (Fig. 1, 3) vom Querschnitt x durch die Mitte des Stabes abweicht, wenn Vx die Vertikalkraft im Querschnitt x (resultierende Vertikalkomponente der äußeren Kräfte links von x) bedeutet, bei n-fachem Systeme (s. Fachwerke mehrfachen Systems):


Gitterträger

Bei nicht horizontalen Gurtungen wären in 1. O cos α und U cos β an Stelle von O, U zu setzen, unter α, β die Winkel der betreffenden Stabachsen mit der Horizontalen verstanden. Bei Verwendung der Schnitte s in Fig. 1 und 2 anstatt der Querschnitte (s. oben) würden das Moment Ms und die Vertikalenkraft Vs in diesen Schnitten an Stelle von Mx, Vx treten (s. Schnittkräfte, Schnittmomente). Da jedoch nicht gesagt werden kann, daß diese nur bei Gitterbalken (nicht bei Gitterbogen) vorgekommene Wahl genauer ist, so bleiben wir bei dem einfacheren und allgemeineren Verfahren. Die Grenzwerte der Stabkräfte im Falle bewegter Last entstehen nach 1., 2. für O, U mit den Grenzwerten von Mx, für Y, Z mit den Grenzwerten von Vx, während die Grenzwerte von Mx, Vx ganz wie für vollwandige Balken berechnet werden (s. Balken, einfache und durchlaufende).

Handelt es lieh um einen Gitterbogen, für welchen im Querschnitte x durch die Mitte eines zu berechnenden Stabs h die Entfernung der Gurtungsschwerpunkte, Mx, Nx, Tx das Moment, die Normalkraft und Querkraft (Transversalkraft) und fo, fu die Querschnitte des Obergurts und Untergurts bedeuten, so entsprechen den Beanspruchungen O, U der letzteren (Zug positiv) mit F = fo + fu.


Gitterträger

und die Beanspruchungen der Füllungsglieder, welche um δ bezw. γ (Fig. 1, 3) vom Querschnitt x abweichen:


Gitterträger

Die Belastungen für die Grenzwerte von O, U ergeben sich wie bei vollwandigen Bogen, diejenigen für die Normalspannungen im obersten und untersten Querschnittselement, wobei die Kernlinien (s.d.) mit den Gurtungsschwerlinien zusammenfallen; die Grenzwerte von Y, Z treten mit den Grenzwerten von Tx ein. S. hierüber Bogen, einfache, und [15], S. 29, 37, 39, 186. Mx, Nx, Tx aber werden ganz wie für vollwandige Bogen berechnet.

Da die vorstehende Berechnungsweise ebensowenig wie die obenerwähnte auf Grund der Zerlegung in einfache Systeme auf Genauigkeit Anspruch machen kann, so wären die zulässigen Beanspruchungen bei Gitterträgern geringer als z.B. bei Fachwerkträgern einfachen Systems zu wählen. Selbstverständlich hätte man für die gedrückten Stäbe auf die Knickwirkung Rücksicht zu nehmen, wobei die Vernietungen in den Kreuzungspunkten der Füllungsglieder günstig wirken, da die Druckglieder und Zugglieder gemeinsam dem Ausknicken widerstehen [9]–[12],[537] [14]. Engesser kam in Berücksichtigung dieses Umstandes für engmaschige Gitterträger zu dem Resultat, daß als freie Knicklänge (s. Knickfestigkeit) der Druckstreben die Maschenweite a eingeführt werden könnte, sofern die Zugkräfte der kreuzenden Glieder durchgehends gleich oder größer als die Druckkraft des betreffenden Stabes wären, daß jedoch mit Rücksicht darauf, daß bei den üblichen Anordnungen auf der einen Hälfte der Druckstrebe die kreuzenden Zugkräfte kleiner sind, die Knicklänge größer als a ist und mit mindestens 2a in Rechnung gezogen werden sollte [12], S. 89. Dabei ist mindestens vierfaches System vorausgesetzt [14], S. 19, wie ja die Annahme bei doppeltem System selbstverständlich zu ungünstig wäre. Bei dem vierfachen System der Erlenbachbrücke (Bd. 3, S. 538) schien nach Versuchen von Hauger die Maschenweite maßgebend [16], S. 16. Auch andre bei Gitterbalken auftretende Nebenspannungen hat Engesser unter gewissen Voraussetzungen näherungsweise in Betracht gezogen. Ueber die Nietteilung von Gitterträgern s. [7], S. 158.

Die eisernen Gitterbrücken kamen in Europa in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf, während ähnliche hölzerne Brücken schon zuvor in Amerika bestanden ([1], S. 228, [8], S. 110), ja nach Basreliefs an der Trajanssäule schon den Römern bekannt gewesen sein sollen (Allg. Bauzeitung 1865, S. 11). Erste Ausführungen in England die Eisenbahnbrücke über den Royal-Kanal bei Dublin (1845), in Deutschland die Eisenbahnbrücke über die Neiße bei Guben (1846), vgl. [l], S. 229, 267. In den fünfziger Jahren folgten bedeutende Bauwerke mit Gitterträgern, wie die Weichselbrücke bei Dirschau [1], S. 273, die Nogatbrücke bei Marienburg [1], S. 276, die Rheinbrücke bei Köln [1], S. 277, und viele andre, von welchen ein Teil noch im Betrieb ist, während andre infolge erhöhter Anforderungen bezüglich der Belastungen u.s.w. abgetragen werden mußten.


Literatur: [1] Heinzerling, Die Brücken in Eisen, Leipzig 1870, S. 229, 267. – [2] Laißle und Schübler, Der Bau der Brückenträger, II, Stuttgart 1871, S. 130. – [3] Winkler, Die Gitterträger und Lager gerader Träger, 1875, S. 27, 96, 119, 190 (ausführliche Literatur über Ausführungen S. 344). – [4] v. Ott, Vorträge über Baumechanik, II, Prag 1880, S. 478; III, Prag 1893, S. 204. – [5] Müller-Breslau, Theorie und Berechnung der eisernen Bogen, Berlin 1880, S. 69. – [6] Winkler, Theorie der Brücken, II. Theorie der gegliederten Balkenträger, Wien 1881, S. 33, 125. – [7] Weyrauch, Die Festigkeitseigenschaften und Methoden der Dimensionenberechnung von Eisen- und Stahlkonstruktionen, Leipzig 1889, S. 137, 158 u.s.w. – [8] Lang, Die Entwicklungsgeschichte der Spannwerke des Bauwesens, Riga 1890, S. 109. – [9] Jasinski, Recherches sur la flexion des pièces comprimées, Annales des ponts et chaussées 1894, II, S. 233 (Anwendungen auf Gitterträger u.s.w. S. 302). – [10] Mantel, Knickfragen, Schweiz. Bauzeitung 1895, I, S. 15, 24. – [11] Jasinski, Zu den Knickfragen, ebend. 1895, I, S. 63. – [12] Engesser, Knickfragen, ebend. 1895, I, S. 89. – [13] Lukas, Die Brückenversuche in Mumpf, Zeitschr. f. Architektur u. Ingenieurwesen, Wochenausg. 1896, S. 180. – [14] Engesser, Ueber Gitterträger, Schweiz. Bauzeitung 1896, XXVIII, S. 19; 1897, XXIX, S. 24. – [15] Weyrauch, Die elastischen Bogenträger, München 1897, S. 29, 37, 186. – [16] Schule, Belastungsprobe bis zum Bruche der Erlenbachbrücke der Schwarzwaldbahn, Schweiz. Bauzeitung 1900, XXXV, S. 35 (s.a. Hauger, 1897, XXX, S. 139). – [17] Häseler, Der Brückenbau, I. Die eisernen Brücken, 4. Lief., Braunschweig 1900, S. 513. – [18] Handbuch der Ingenieurwissenschaften, II. Der Brückenbau, 2. Abt., Leipzig 1901, S. 328.

Weyrauch.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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