Gewehr

Gewehr

Gewehr. Das Infanteriegewehr hat während des letztverflossenen halben Jahrhunderts, namentlich aber seit 1886, durchgreifende Umgestaltungen und in bezug auf Leistung und Wirkung in jedem Sinne außerordentliche Verbesserungen erfahren. Diese sind vorzugsweise durch die veränderte Ladeweise (Hinter- und später Mehrlader), die Herabsetzung des Kalibers oder der Laufweite und die Erfindung des rauchschwachen Pulvers ermöglicht worden.

Bis 1830–40 war die Infanterie aller Mächte noch vorwiegend mit glatten Steinschloßgewehren von großem Kaliber (17–18 mm) bewaffnet, neben welchen Büchsen (mit gezogenem Lauf) nur in verhältnismäßig geringer Zahl auftraten. Zwischen 1830 und 1850 wurde das Steinschloß allgemein durch das Perkussionsschloß (mit Zündhütchen) ersetzt, und in den folgenden zehn Jahren nahmen die Großmächte durchweg gezogene Vorderlader, zum Teil mit kleinerem Kaliber, an. Zugleich verdrängte das Langgeschoß die bisher ausschließlich angewendete Rundkugel, die in den Büchsen mit Pflaster geladen wurde, um den Spielraum aufzuheben und ihr Führung in den Zügen zu geben. Das Langgeschoß erhielt seine Führung teils durch Stauchung (Lorenz, Wilkinson), teils durch Ausdehnung[462] (Expansion). Letztere wurde entweder durch einen am Boden der Laufbohrung angebrachten Dorn bewirkt, auf den man das Geschoß durch wiederholte Stöße mit dem Ladestock derart austrieb, daß es sich hinten weitete, oder durch eine kleine Höhlung am Geschoßboden, die zuweilen noch einen Spiegel von Holz oder Blech enthielt, der die ausdehnende Wirkung der Pulvergase auf den hohlen Bodenteil des Geschosses unterstützen sollte (Neßler, v. Podewils, Minié, Pritchett-Enfield; Dorn-[oder Stift-] und Kammergewehre: Delvigne, Thouvenin, Wild).

Preußen gebührt das Verdienst, schon im Jahre 1841 einen gezogenen Hinterlader von mittlerem Kaliber, das von Nikolaus Dreyse in Sömmerda erfundene Zündnadelgewehr (m/41), angenommen zu haben. Seine Einheitspatrone vereinigte Geschoß und Pulverladung mit dem führenden Pappspiegel, der auch die Zündpille enthielt, zu einem Ganzen. Es gestattete daher ein weit rascheres Laden (in jeder Stellung) und Feuern als der bisherige Vorderlader. Unter Moritz von Oranien (1580) brauchte man zum Laden der Muskete 43 Griffe; Gustav Adolfs Musketiere konnten in der Stunde kaum mehr als einen Schuß abgeben; das Perkussionsgewehr tat in der Minute drei, das Zündnadelgewehr, das sechs Griffe erforderte, fünf Schüsse. Gegen die Kriegsbrauchbarkeit des Hinterladers, der am 7. Mai 1849 im Gefecht bei Alminde (Jütland) zur ersten kriegerischen Verwendung gelangte, machten sich anfangs vielfache Zweifel und Bedenken geltend, die indes durch die Feldzüge von 1864 und 1866, in denen sich das Zündnadelgewehr ausgezeichnet bewährte, glänzend widerlegt wurden.

Nunmehr beeilten sich alle Staaten, teils die vorhandenen Gewehre in Hinterlader umarbeiten zu lassen, teils verbesserte Neukonstruktionen einzuführen, die das inzwischen veraltete Zündnadelgewehr erheblich übertrafen, wie dies namentlich die überlegenen ballistischen Leitungen des Chassepot im Kriege 1870–71 dartaten. Die schon vor dem Kriege begonnene Umänderung des Zündnadelgewehrs trat deshalb in den Hintergrund, und es wurde das Gewehr m/71 angenommen, das den ungefähr gleichzeitig eingeführten Waffen der andern Heere mindestens ebenbürtig war.

Die neueren Gewehre wurden hauptsächlich durch folgende wesentliche Fortschritte gekennzeichnet: Ersatz der Papier- durch eine selbstlidernde Metallpatrone, welche die früher im Verschluß liegende mangelhafte Liderung (Abdichtung gegen das Entweichen der Pulvergase) allein und weit besser besorgte; Verringerung der Zahl der Ladegriffe, indem das Spannen des Schlosses, das früher einen besonderen Griff erforderte, nun beim Oeffnen (oder Schließen) selbsttätig erfolgte; bedeutende Verkleinerung des Kalibers (der Laufweite).

Während die älteren bezw. die aus Vorderladern umgearbeiteten Hinterlader teils noch Laufweiten von 17,8–17,5 mm hatten (französisches Tabatiere-, niederländisches Snider- und italienisches Carcano-Gewehr), teils in den Grenzen von 15,43 bis 12,12 mm lagen (preußisches Zündnadel-, russisches Karl-, englisches Snider-, spanisches Berdan-, österreichisches Wänzl-, bayrisches Podewils- und schwedisches Remington-Gewehr), gingen sie nun ausnahmslos auf 11,44–10,40 mm hinab (dänisches Remington-, englisches Martini-Henry-, deutsches m/71, bayrisches Werder-, französisches Chassepot- und Gras-, belgisches Albini-Brändlin-, niederländisches Beaumont-, österreichisc-hungarisches Werndl- und Remington-, russisches Berdan- [Nr. 2], schweizerisches Milbank-Amsler-, Peabody- und Vetterli-Gewehr).

Die kleine Laufweite des Infanteriegewehrs gestattete große Mündungsgeschwindigkeit und hohe Querdichte (oder Querschnittbelastung: Verhältnis des Gewichts zum Querschnitt des Geschosses), welche die unerläßlichen Vorbedingungen einer hohen ballistischen Leistung des Geschosses bilden, dem sie eine flache, gestreckte Flugbahn und lange bestrichene Räume, gute Treffähigkeit, bedeutende Endgeschwindigkeit, erhebliche Durchschlagleistung und große Schußweiten gaben. – Aber nur durch ihre Vereinigung und gegenseitige Ergänzung vermochten beide so hervorragende Ergebnisse zu erzielen. Für kleine Mündungsgeschwindigkeit war hohe Querdichte entbehrlich und ohne besonderen Nutzen; große Mündungsgeschwindigkeit dagegen, wenn sie nicht von genügender Querdichte getragen wurde, erlahmte sehr bald, weil das Geschoß zur Ueberwindung des Luftwiderstands nicht hinlänglich befähigt war.

Da mit dem Durchmesser des Geschosses der Querschnitt im quadratischen, das Gewicht: aber (bei ähnlichen Geschossen von demselben Metall) im kubischen Verhältnis zunimmt, so wächst die Querdichte mit der Laufweite im einfachen Verhältnis. Sonach liegen alle ballistischen Vorteile scheinbar auf selten des großen Kalibers. In Wirklichkeit trifft indes gerade der entgegengesetzte Fall zu. Durch das gewählte oder erreichte Maß der Mündungsgeschwindigkeit ist im allgemeinen auch schon die obere Grenze des Geschoßgewichts ohne weiteres gegeben, da die Rückwirkung des Schusses hauptsächlich durch die Mündungsgeschwindigkeit und das Gewicht des Geschosses bedingt wird. Ist der eine dieser Werte bestimmt, so kann sich der zulässige Höchstbetrag des andern nur noch in ziemlich enggezogenen Grenzen bewegen, weil sonst entweder der Rückstoß der Waffe zu stark oder ihr Gewicht unverhältnismäßig groß werden müßte; in beiden Fällen würde also die für den Feldgebrauch statthafte Beanspruchung der Körperkraft des Infanteristen überschritten werden. Bei gegebenem Geschoßgewicht ist es dann naturgemäß ballistisch vorteilhafter, aus dem durch die Dichte des Geschoßmetalls gleichfalls gegebenen Rauminhalt ein Geschoß von kleinem Kaliber und großer Länge, statt umgekehrt ein kurzes Geschoß von großem Durchmesser zu formen, da man im ersteren Fall hohe, im andern geringe Querdichte erzielt.

In demselben Sinne beeinflußt die Laufweite auch die für das heutige Gewehr so wesentliche Durchschlagleistung. Die Geschoßarbeit, deren die verschiedenen Kaliber zu der gleichen Durchschlagleistung bedürfen, verringert sich mit der abnehmenden Laufweite höchstens im Verhältnis der Geschoßquerschnitte, mindestens im Verhältnis der Geschoßumfänge; in jedem Fall haben also die kleineren Kaliber erheblich weniger Geschoßarbeit nötig als die großen. Eine 13 g schwere Schrapnellkugel aus Weichblei braucht 8 mkg Arbeit bezw. 110 m Treffgeschwindigkeit,[463] um einen Mann außer Gefecht zu setzen; ihr Durchmesser beträgt 13 mm. Schon im Verhältnis der Umfange oder Durchmesser würde demnach ein 8–, 6,5- und 5-mm-Gewehrgeschoß nur 5 bezw. 4 und 3 mkg Arbeit für den gleichen Zweck bedürfen. Der wirkliche Arbeitsbedarf der Gewehrgeschosse ist indes noch wesentlich geringer, teils weil er sich mit der abnehmenden Laufweite in höherem Maße als im Verhältnis der Durchmesser vermindert, teils weil diese Geschosse gegen die Schrapnellkugel in bezug auf Spitzenform (Ogival gegen Halbkugel) sowie an Fertigkeit und Härte (Hartbleikern in Stahl- oder Kupfernickelmantel gegen nacktes Weichblei) erheblich im Vorteil sind.

Das niedrigere Geschoßgewicht der kleinen Laufweite führt ferner – ungeachtet der gesteigerten Mündungsgeschwindigkeit – zu einer beträchtlichen Ermäßigung des Rückstoßes und gestattet daher, ohne größere Beanspruchung des Schützen, eine entsprechende Erleichterung der Waffe, die wieder der Belastung des Mannes zugute kommt. Beispielshalber hat ein 5-mm-Gewehr von nur 3 kg Gewicht mit 7 g Geschoßgewicht und 850 m Mündungsgeschwindigkeit nicht mehr als 0,6 mkg Rückstoßarbeit und 1,98 m Rückstoßgeschwindigkeit.

Endlich erfährt auch das Patronengewicht mit der abnehmenden Laufweite eine wesentlich e Verringerung. Möglichst leichte Patronen sind selbstredend unter allen Umständen von Vorteil, gleichviel, ob man es vorzieht, in den Taschen des Mannes und in den Fahrzeugen eine tunlichst große Schußzahl mitzuführen oder den Infanteristen mit Schießbedarf möglichst wenig zu belasten. 150 Patronen (älterer Art) des deutschen 7,9-mm-Gewehrs 98 wiegen 4,1 kg; dasselbe Gewicht ergeben rund 225 der 18 g schweren Patronen des 5-mm-Gewehrs; ohne Gewichtszuwachs erhöht sich daher die Schußzahl um 75 Stück = 50%. 150 5-mm-Patronen wiegen 2,7 kg;. bei gleicher Schußzahl vermindert sich demnach das Gewicht um 1,4 kg = 33%.

Die entscheidenden Vorzüge der kleinen Gewehrkaliber lagen also bisher in der hohen Mündungsgeschwindigkeit und der großen Querdichte des Geschosses (bei an sich kleinerem Geschoßgewicht). Daraus ergaben sich: 1. Sehr flache Flugbahnen und große bestrichene Räume; also Beherrschung größerer Strecken des Vorfelds mit einer Aufsatzstellung und geringer Einfluß der Entfernungsfehler auf die Treffergebnisse. Gegen 1,7 m Zielhöhe (Mannshöhe) hat das 5-mm-Gewehr einen vollständig bestrichenen Raum von der Mündung bis gegen 700 m. 2. Beträchtliche Durchschlagleistung, durch die große Endgeschwindigkeit (am Ziel). den kleinen Durchmesser und die bedeutende Fertigkeit und Härte der Geschosse bedingt. 3. Geringer Rückstoß, aus dem kleinen Geschoßgewicht folgend; daher verminderte Beanspruchung des Schützen; deshalb zulässig: 4. Geringes Gewicht der Waffe, mithin Entlastung des Mannes. 5. Kleines Patronengewicht; dadurch größere Schußzahl in den Taschen und Wagen bezw. geringere Belastung des Infanteristen und der Fahrzeuge. Die Uebertragung dieser maßgebenden Gesichtspunkte auf die Praxis hatte während der letzten Jahrzehnte dazu geführt, daß die Laufweite stufenweise von rund 18 auf 6 mm (im Versuch 5 mm) gesunken und gleichzeitig die Querdichte von 20 auf reichlich 31 g für den Quadratzentimeter (5 mm : 33,1 g) gestiegen war.

Neuerdings ist man im Deutschen Reich und auch in Frankreich mit Erfolg bestrebt gewesen, die ballistische Leistung des Gewehrs durch weitere Steigerung der Mündungsgeschwindigkeit (im Verein mit einer mäßigen Herabsetzung des Geschoßgewichts) und vor allem durch Annahme einer sehr schlanken Spitzenform des Geschosses derart zu heben, daß auf allen gebräuchlichen Kampfentfernungen noch flachere Flugbahnen als bisher erzielt werden. Näheres über die deutsche S-Munition, das französische D-Geschoß und die mit ersterer erreichten außerordentlichen Fortschritte der Leistung und Wirkung s. in der Zusammenstellung auf S. 470 bezw. im Art. Munition für Gewehre. Die Konstruktion der schon vor einiger Zeit von den deutschen Waffen- und Munitionsfabriken und von der Waffenfabrik Mauser angenommenen 6,5-cm-Spitzgeschosse m/1904 (Fig. 1) kennzeichnet sich durch folgendes Verhältnis der Abmessungen:


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Für die Kaliber von 7,65, 7,0 und 6,5 mm hat, gegenüber den älteren Mauserwassen von gleicher Laufweite, das Geschoßgewicht um 2–1 g = 14–10% und demgemäß selbstredend auch die Querdichte um 14–10% abgenommen, während anderseits die Mündungsgeschwindigkeit, teils durch die Erleichterung des Geschosses, teils durch Vergrößerung der (überdies aus wirksamerem Pulver bestehenden) Ladung um 17–44%, eine Zunahme von 19–24% erfahren hat; trotzdem ist der höchste Gasdruck im 7,65-mm-Gewehr um 1% gesunken, im 7,0- und 6,5-mm-Gewehr nur um 10 bezw. 8% gestiegen. Die Treffähigkeit und ebenso die Durchschlagleistung (letztere besonders gegen Holz und vor allem gegen Stahl) ist erheblich gesteigert, und die bedeutende Verbesserung der Flugbahnverhältnisse ergibt sich aus nachstehender Zusammenstellung (s.a. die Zusammenstellung auf S. 471).


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[464] Da derartige Ergebnisse durch die Steigerung der Mündungsgeschwindigkeit allein, zumal bei der verringerten Querdichte des Geschosses, keinesfalls erreicht werden konnten, so ist der praktische Beweis erbracht, daß der Vorteil der schlankeren Spitze den Nachteil der kleineren Querschnittbelastung nicht nur ausgleicht, sondern noch bei weitem überwiegt.

Eine namhafte Steigerung der Feuergeschwindigkeit und damit auch der Feuerwirkung in gegebenen kritischen Gefechtslagen wurde durch die Mehrlader (Repetiergewehre) erzielt, die schon im nordamerikanischen Bürgerkriege eine gewisse Rolle gespielt hatten, die sich aber erst allgemein Bahn zu brechen vermochten, nachdem die ursprünglichen mangelhaften Konstruktionen (Röhrenmagazin im Kolben oder im Vorderschaft) durch vollkommenere (Kastenmagazin im Mittelschaft) ersetzt waren.

Das Röhrenmagazin findet sich gegenwärtig nur noch an dem französischen Lebelgewehr und an den gleichfalls veralteten Waffen einzelner Staaten zweiten und dritten Ranges; alle andern Mehrlader sind mit Kastenmagazinen ausgerüstet. Bei diesen unterscheidet man drei grundsätzlich verschiedene Gattungen, benannt nach ihren Erfindern: v. Mannlicher, Mauser und Krag-Jörgensen.

v. Mannlicher (deutsches Gewehr 88, Fig. 2 und 3): Senkrechter, unten offener Kasten; die darin übereinander liegenden Patronen werden mit dem schachtelförmigen Patronenrahmen, der sie zu einem Paket vereinigt, von oben in das Magazin eingeführt. Der löffelartige Zubringer, den der Druckbolzen mit Schraubenfeder betätigt, hebt sie der Reihe nach einzeln vor die hintere Lauföffnung bezw. in die »Kammerbahn«; der beim Schließen nach vorn geschobene Verschluß (»Kammer«) erfaßt jedesmal die oberste Patrone und führt sie in das Patronenlager des Laufs ein. Der hakenartige gefederte Rahmenhalter, der um eine wagerechte Welle schwingt, verhindert, daß sich der Patronenrahmen unter dem hebenden Druck des Zubringers nach oben verschieben kann. Sein Hinabgleiten wird anderseits durch die Reibung und Spannung verhütet, die zwischen den auf dem Zubringer ruhenden Patronen und den oben und unten nach innen umgebogenen Wandungen des Rahmens stattfindet. Sobald daher die letzte Patrone des Pakets verfeuert ist, fällt der leere Rahmen von selbst nach unten aus dem Kasten; der Zubringer geht dabei mit Spielraum durch die offenen Schmalseiten des Rahmens hindurch.

Mauser (Fig. 4–6): Senkrechter, unten geschlossener Kasten; die zu einem Paket gehörenden Patronen werden durch einen spangenförmigen Ladestreifen, der nur die Patronenboden umfaßt, zusammengehalten (Fig. 4 und 4a: gefüllter Ladestreifen des spanischen Gewehrs m/93). Die innen am Boden liegende Flachfeder w drückt die Patronen gegen den hakenförmig umgebogenen Rand des Ladestreifens, der in die Eindrehungen für die Auszieherkralle (am Verschluß) eingreift, so daß die Patronen festgelegt sind und nicht von selbst herausfallen können. Der Schütze setzt den Ladestreifen – beliebig mit dem einen oder andern Ende – in die über dem Magazin in die Verschlußhülse eingeschnittenen senkrechten Rinnen, streift die Patronen durch einen Fingerdruck vom Streifen ab in den Kasten hinein und wirst den entleerten Ladestreifen fort, oder letzterer fällt beim Schließen des Verschlusses von selbst ab. Die Patronen liegen lose übereinander im Magazin und werden von dem durch eine Zickzackfeder betätigten Zubringer bis zur Kammerbahn gehoben.

Die neueren Mausergewehre (Fig. 5 und 6), haben einen flacheren und breiteren Kasten, der sich unten mit dem Schaft vergleicht und die fünf Patronen in zwei Reihen nebeneinander (drei links, zwei rechts) aufnimmt. Eine auf der Zubringerplatte links angeordnete Rippe[465] (Fig. 6) bewirkt, daß die Patronen der einen Reihe in gleicher Höhe mit den Zwischenräumen der andern liegen und in diese eingreifen. Der vordere Teil des Verschlußkolbens ist unten abgeflacht und hat zwei seitliche Vorsprünge, um die Patronen, die abwechselnd von rechts und links emporsteigen, fassen und in den Lauf einführen zu können. Sobald das Magazin entleert und die letzte Hülfe ausgeworfen ist, tritt eine auf dem Zubringer angebrachte Nase in die Kammerbahn, verhindert das Schließen des Verschlusses und benachrichtigt so den Schützen mit großer Deutlichkeit, daß das Magazin von neuem gefüllt werden muß. Diese einfache Vorrichtung ist von hohem Wert, da sie das in der Erregung des Kampfes – und selbst bei Friedensübungen – leicht mögliche »Blindabziehen« verhütet. Ein zunächst nur für Karabiner bestimmtes Muster des Mausermagazins nimmt zehn Patronen in zwei Reihen auf, ist deshalb entsprechend tiefer und ragt unten um einige Zentimeter aus dem Schaft hervor. Es wird mit zwei gewöhnlichen Ladestreifen zu je fünf Patronen gefüllt.

Krag-Jörgensen (Fig. 7, 8 und 9): Wagerechter Kasten mit seitlicher, nach unten (früher nach vorne) öffnender Tür. Die Patronen werden aus einem an die Türöffnung angelegten Blechbehälter (Rahmen) in den Kasten entleert und liegen in diesem nebeneinander, der Zubringer, dessen Feder erst beim Schließen der Kastentür in Tätigkeit tritt, schiebt sie von links vor die Lauföffnung; die Patroneneinlage der Hülfe hat daher unten keinen Durchbruch.

Die Mannlicher-Mehrladung ist eingeführt im Deutschen Reich (88), Bulgarien, Italien, den Niederlanden, Oesterreich-Ungarn, Rumänien und bei dem französischen Karabiner m/90 (Berthier); System Mauser im Deutschen Reich (98), Argentinien, Belgien, Bolivia, Brasilien, Chile, China, Columbia, Ecuador, Kongostaat (für die europäischen Truppen), Luxemburg, Mexiko (Oranje-Freistaat), Persien, Peru, Portugal (m/1904), Rußland, Schweden, Serbien, Spanien (Transvaal-Freistaat), in der Türkei und in Uruguay; Krag-Jörgensen in Dänemark sowie (verbessert) in Norwegen, vormals auch in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Bei dem schweizerischen Gewehr m/89 und dem Karabiner m/93 wird der abnehmbare Magazinkasten aus zwei (Karabiner einer) Ladeschachteln mit zwölf (Karabiner sechs) losen Patronen in zwei Reihen nebeneinander gefüllt. Durch eine Magazinsperre (Abstellvorrichtung) kann die Zuführung von Patronen aus dem Kasten vor den Verschlußkolben ausgeschaltet werden. Im Anschluß an die von Schweden-Norwegen vorgenommene umfangreiche Prüfung verschiedener Mehrladermuster wurden die wesentlichen Eigenschaften der Systeme von Mannlicher, Mauser und Krag-Jörgensen in der Stockholmer Artilleriezeitschrift von Hauptmann Lemchen wie folgt gekennzeichnet: Zum Laden der Waffe sind bei v. Mannlicher und Mauser vier, bei Krag-Jörgensen neun Griffe erforderlich.

Vorzüge.

v. Mannlicher: Der Verschluß ist gut konstruiert und arbeitet im allgemeinen sehr leicht. Das Magazin läßt sich ohne die geringste Schwierigkeit und stets auf dieselbe Weise füllen sowie ohne Beanspruchung des Verschlusses leeren. Das Gewehr ist leicht anzufertigen.

Mauser: Der Verschluß arbeitet gut und hat sich namentlich gegen Rost unempfindlich gezeigt, indem die an älteren Schloßmustern wie auch von v. Mannlicher und Krag-Jörgensen angewendete Spannase fortgefallen ist. Da nur bei vollständig geschlossenem Verschluß abgezogen werden kann, kommen Versager, die ihre Ursache im Arbeiten des Verschlusses haben, seltener als bei den andern beiden Systemen vor. Die Art, wie der Verschluß die Rückwirkung der Pulvergase aufnimmt, ist vorteilhafter als bei Krag-Jörgensen angeordnet; auch läßt sich die äußerst einfach konstruierte Mehrladevorrichtung leichter als bei jenem System herstellen und instand halten. Der Kasten kann sowohl mittels des Ladestreifens wie mit losen Patronen gefüllt werden. Ist die letzte Patrone aus dem Magazin verschossen und wird dieses nicht von neuem gefüllt, so läßt sich die Waffe nicht mehr abziehen. Der Ladestreifen ist einfacher und haltbarer konstruiert als bei Krag-Jörgensen, wiegt weniger und hält die Patronen, selbst wenn er nur zum Teil gefüllt ist, sicherer zusammen als die Rahmen von v. Mannlicher und Krag-Jörgensen. Die äußere Form des Gewehrs ist vorteilhafter als bei v. Mannlicher, weil der Kasten den Schaft nicht überragt.

Krag-Jörgensen: Der Verschluß ist gut konstruiert und arbeitet sehr leicht. Bei den Versuchen hat sich das Gewehr besonders unempfindlich gegen Zündhütchensprengungen gezeigt. Die Mehrladevorrichtung ist vom Verschluß völlig unabhängig; auch ohne diesen zu öffnen, kann der Kasten gefüllt oder auf einmal entleert werden. Selbst bei beschädigtem Magazin läßt sich das Gewehr als Einzellader gebrauchen. Man kann den Kasten sowohl mittels des Rahmens wie mit losen Patronen füllen.

Nachteile.

v. Mannlicher: Der Verschlußkopf bildet einen kleinen losen Teil, welcher beim Zusammensetzen der Waffe nach dem Reinigen leicht vergessen werden kann; wird mit dem Gewehr in diesem Zustand geschossen, so ist ein Unglücksfall unvermeidlich. Bringt man einen Rahmen ein, in dem sich die Patronen verschoben haben oder der bei der Fortschaffung, durch Werfen u. dergl. beschädigt worden ist, so tritt eine Störung im Arbeiten der Mehrladevorrichtung ein. Das Gewehr ist als Einzellader kaum verwendbar. Der Kasten kann nur mittels des [466] Rahmens gefüllt werden. Das Nachfüllen eines teilweise geleerten Magazins ist unmöglich; statt dessen kann nur ein Austausch der Patronenrahmen stattfinden. Ein Rahmen, in welchem eine oder mehrere Patronen fehlen; ist kaum noch benutzbar, da er die Patronen nicht mehr zusammenhält. Die Einrichtung des Gewehrs macht das Magazin schwer zugänglich; auch läßt es sich nur bei geöffnetem Verschluß füllen.

Mauser: Das Füllen des Magazins bei geschlossenem Verschluß ist untunlich; der Kasten kann nicht auf einmal, sondern nur allmählich mit Hilfe des Verschlusses geleert werden.

Krag-Jörgensen: Der Grundsatz, auf dem die Konstruktion beruht, ist im allgemeinen als veraltet anzusehen, da kein andres modernes Gewehr mehr vorwiegend als Einzellader gebraucht werden und die Magazinfüllung als Vorrat für Ausnahmefälle aufsparen soll. Bei unrichtiger Handhabung des Abstellhebels, der das Magazin sperrt, kommen oft Versager vor, ebenso wenn beim Schließen der Griff des Verschlußkolbens nicht vollständig herabgedrückt wird. Die beiden verschiedenen Ladeweisen erfordern, daß der Mann die Patronen auch auf zweierlei Art verpackt mitführt (teils lose, teils in Rahmen); dadurch kann die Eigenschaft des Gewehrs als Schnellader in Frage gestellt werden. Fällt ein Rahmen zu Boden oder wird er, wie es beim Ersatz des Schießbedarfs in der Schützenlinie vorkommen kann, geworfen, so trennen sich die Patronen von ihm. Das Gewehr läßt sich schwer so anfertigen, daß die Teile vertauschbar sind.

Diese Ergebnisse der vorgenommenen Vergleichsversuche führten in Schweden zur Annahme des Systems Mauser, während sich Norwegen gleichzeitig für Krag-Jörgensen entschied.

Durch die Mehrladung ist die mögliche Feuergeschwindigkeit von fünf Schüssen in der Minute beim Zündnadelgewehr auf 25 gezielte und auf 50 Schüsse in mechanischem Schnellfeuer gesteigert worden. Aber weder diese Leistung noch die Herabsetzung der Laufweite würde den tatsächlich erzielten gewaltigen Zuwachs an Feuerwirkung auch nur annähernd ergeben haben, wenn nicht als dritter und mächtigster Bundesgenosse das rauchschwache Pulver hinzugetreten wäre, das mit äußerst geringfügiger Rauchentwicklung zugleich den Vorzug einer sehr beträchtlichen Triebkraft bei verhältnismäßig niedrigem Gasdruck vereinigt (s. Geschoßtreibmittel). Infolgedessen wuchs die Mündungsgeschwindigkeit von 320 m (Vorderlader) auf rund 770 m bei dem 6 mm (5 mm 850 m) und die wirksame Schußweite von knapp 250 m (glatte Flinte) auf reichlich 5000 m; gleichzeitig wurde ein außerordentlicher Gewinn an Durchschlagleistung erzielt.

Künstliche und natürliche Deckungen, die ehemals gegen Infanteriefeuer unbedingt sicherten, gewährten nun keinen nennenswerten Schutz mehr. Im Gegenteil, was früher den Verteidiger beschirmte, half ihn jetzt vernichten, da die von den zerschmetterten Mauern, Bäumen u.s.w. losgerissenen Trümmer und Splitter die Wirkung der Geschosse selbst vervielfachten. Dadurch wurde naturgemäß ein vollständiger Umschwung in den taktischen Verhältnissen, namentlich in der Geländebenutzung, dem Kampf um Oertlichkeiten, Gehölze u.a.m., herbeigeführt.

In betreff der Verwundungen ist ermittelt worden, daß beispielshalber das Geschoß des französischen Gewehres m/86/93 noch bis auf 3000 m weiche Körperteile durchbohrt und Glieder zerschmettert, während das italienische und andre 6,5-mm-Gewehre bis zu 4000 m Menschen außer Gefecht setzen können. Der möglichen Wirkung zufälliger Treffer auf so große Entfernungen ist indes eine nennenswerte praktische Bedeutung nicht beizulegen. Die gefechtsmäßige Verwertung der ballistischen Leistung bis zu ihren äußersten Grenzen bleibt ausgeschlossen, weil – abgesehen von der unzureichenden und unverwendbaren Höhe des Aufsatzes am Gewehre – das Zielen und die Beobachtung der Infanteriefeuerwirkung auf 3–4 km mit bloßem Auge unmöglich und selbst mit bewaffnetem in den meisten Fällen undurchführbar ist.

Die kleinkalibrigen Mantelgeschosse bringen vermöge ihrer beträchtlichen Geschwindigkeit und Arbeit häufig schwere Verwundungen hervor, teils durch hydraulische Sprengung der mit – praktisch unelastischer – Flüssigkeit gefüllten und kapselartig geschlossenen Organe (Gehirn, Herz, Magen, Darm, Harnblase), teils durch umfangreiche Zertrümmerung und Splitterung der Knochen, teils endlich durch ausgedehnte Zerreißung der Blutgefäße (Verblutung). Anderseits bewirkt die große Fertigkeit der Mantelgeschosse, die ihre Formveränderung beim Eindringen in den getroffenen Körper fast ganz ausschließt, daß die Heilung der nicht unbedingt tödlichen Wunden meist viel rascher und günstiger verläuft als früher.

Die gegen die Verringerung der Laufweite wiederholt geltend gemachte Behauptung, daß kleinkalibrige Geschosse nicht imstande seien, lebende Ziele sofort außer Gefecht zu setzen, d.h. ihre Bewegungs- und Kampffähigkeit unmittelbar und augenblicklich aufzuheben, ist durch die Erfahrungen der neuesten Kriege nicht bestätigt worden. Selbstredend bleibt die Schußwirkung stets von Ort und Art der Verwundung abhängig, und leichte Streifschüsse werden ebensowenig wie früher lebende Ziele immer außer Gefecht setzen. Jedenfalls wird man aber stets mit einem verhältnismäßig hohen Prozentsatz von Toten und Schwerverwundeten zu rechnen haben, während zugleich die großen Schußweiten unsrer heutigen Waffen die Behandlung der Verwundeten auf dem Schlachtfeld und ihre Fortschaffung nach den Verbandplätzen erheblich erschweren, verzögern und gefährden.

Die Hauptteile des modernen Infanteriegewehrs sind – abgesehen von der schon besprochenen Mehrladeeinrichtung –: Lauf, Visiervorrichtung, Verschluß und Schloß, Schaft, Beschlag, Zubehör und Bei- oder blanke Waffe.

Lauf: Röhre von besonders widerstandsfähigem Stahl (neuerdings Nickelstahl), 610 bis 800 mm lang, hinten stärker als vorn. Die innere Bohrung (Seele) zerfällt in den gezogenen Teil und das der Gestalt der Patrone entsprechende Patronenlager. Die Züge, deren Zahl zwischen drei und sieben schwankt und in der Regel vier beträgt, bilden Rinnen, die in den gezogenen Teil eingeschnitten sind. Die zwischen ihnen stehen bleibenden Rippen heißen Felder; der Abstand zweier einander gegenüber liegenden Felder ergibt das Kaliber oder[467] die Laufweite d der Waffe. Die Windung der Züge und der Felder, der Drall, gibt dem Geschoß, in dessen Mantel sich die Felder während seiner Bewegung durch die Seele einschneiden, eine (für die Stetigkeit des Fluges in der Luft notwendige) Drehung um die Längsachse.

Ueber Drallänge und -winkel s. Geschütze. Der Querschnitt der Züge ist teils rechteckig (Fig. 10, russisches Dreiliniengewehr m/91), teils muldenförmig (Fig. 11, österreichisch-ungarisches Gewehr m/88), teils bogenförmig (Fig. 12, dänisches Gewehr m/89).

Bei einigen Gewehren (deutsches 88, belgisches und dänisches) ist der Lauf seiner ganzen Länge nach mit einigen Millimetern Spielraum von einer dünnen Stahlblechröhre, dem Laufmantel, umgeben (Fig. 13). Dieser erleichtert die Handhabung des durch anhaltendes Feuern erhitzten Gewehres, schützt den Lauf vor äußeren Beschädigungen, sichert ihn beim Schießen gegen die nachteiligen Einwirkungen des Schafts und gestattet ihm, wenn der Lauf heiß geworden ist, sich ungehindert auszudehnen und frei zu schwingen, wodurch die Trefffähigkeit befördert wird. Bei neueren Gewehrmustern wird statt des Laufmantels ein hölzerner Handschutz (Oberschaft) angewendet, der die obere Seite des Laufs im hinteren Teil umgibt und für das Visier ausgeschnitten ist (Fig. 14, Handschutz des spanischen 7-mm-Mausergewehres m/93).

Die freie Ausdehnung des sich beim Feuern erwärmenden Laufs in der Längsrichtung kann auch dadurch erreicht werden, daß der Lauf sich nach vorn in einem oder mehreren Absätzen stufenförmig verjüngt und an diesen Stellen im Schaft und Unterring Spielraum erhält: spanisches Gewehr m/93 (Fig. 15); deutsches Gewehr 98.

Die Visiervorrichtung dient dazu, dem Lauf die für das Treffen des Ziels geeignete Richtung zu geben; sie besteht aus Visier (Aufsatz) und Korn. Ersteres befindet sich nahe dem hinteren Laufende, letzteres dicht hinter der Mündung. Die Visierlinie, d.h. die Verbindungslinie zwischen der Kimme (Einschnitt) des Visiers und der Kornspitze, ist in der Regel 600–700 mm lang. Je weiter das zu beschießende Ziel entfernt ist, desto größer wird der anzuwendende Erhöhungswinkel, den die Seelenachse mit der Wagerechten bilden muß. Der kleinsten Entfernung entspricht daher die niedrigste Visierstellung, das Standvisier, das meist für 200–300 m, bei den 6,5-mm-Gewehren für 300–400 m eingerichtet ist. Nach den Vorkehrungen, die für das Schießen auf weitere Entfernungen, also unter größerer Erhöhung, getroffen sind, unterscheidet man hauptsächlich vier Gattungen von Visieren: Rahmen-(Schieber- oder Leiter-), Treppen- und Rahmen- und endlich Quadranten- und Kurvenvisiere.

Ersteres (Fig. 16 u. 17: Visier des deutschen Gewehrs 88) hat außer dem Standvisier und der »kleinen Klappe« einen rechteckigen Rahmen (Leiter, »große Klappe«), in dessen lange Schenkel die Entfernungszahlen und -marken (Visiermarken) eingeschlagen sind. Längs des Rahmens, der sich um eine wagerechte Welle drehen (aufrechtstellen) läßt, gleitet ein mit einer Kimme versehener Schieber auf und nieder; mittels eines gefederten Sperrstücks (Schleppe), das in Ausschnitte (Rasten) in der einen Rahmenkante eingreift, wird er auf die befohlene Entfernung eingestellt. Der Visierfuß ist auf den Laufmantel aufgelötet.

Das Treppen- und Rahmenvisier (Fig. 18 u. 19: Visier des russischen Dreiliniengewehrs) hat zwei senkrechte Wangen A, deren stufenförmig ausgearbeitete Oberkanten eine Art Treppe bilden; die linke Wange ist an der Außenseite mit Entfernungszahlen versehen. Zwischen den Wangen bewegt sich der um die Welle a schwingende Rahmen B, der den Schieber c trägt und zwei Kimmen, b1 und b2, hat; an seiner Rückseite sind gleichfalls Entfernungszahlen[468] und -marken angebracht. Beim Schießen auf kleinere Entfernungen (bis 1200 Schritt) wird der Schieber auf die entsprechende Stufe der Wangen gelegt und über Kimme b1 gezielt (Fig. 18); über 1200 Schritt gebraucht man Rahmen und Schieber ebenso wie beim Rahmenvisier; die Kimme b2 ist für die größte Entfernung (2700 Schritt) bestimmt.

Das Quadrantenvisier (Fig. 20: Visier des schweizerischen Karabiners m/93) besteht aus einem zwischen- zwei senkrechten Wangen drehbaren Blatt, das oben die ebenfalls drehbare Visierklappe trägt. In die Innenfläche der linken Wange sind die Stellrinnen und in die Oberkante die zugehörigen Entfernungszahlen eingeschnitten. Die scharfe Kante der Blattfeder greift in die Stellrinnen ein und hält dadurch das Blatt in der gewünschten Lage fest.

Das wesentlich vervollkommnete Kurvenvisier des deutschen Gewehrs 98 vereinfacht den Gebrauch, schließt die Benutzung einer falschen Kimme aus, beugt der Wahl unrichtiger Aufsatzstellungen tunlichst vor, erleichtert deren Ueberwachung durch die Vorgesetzten, ermöglicht in jeder Lage ein bequemes Einstellen, begünstigt daher die stete Feuerbereitschaft und gewährt ein freies, immer gleiches Gesichtsfeld. Es besteht aus Visierfuß, -klappe und -schieber (Fig. 20a und Fig. 20b). Der Visierschieber läßt sich auf dem Visierfuß vor- und rückwärts bewegen und an den verschiedenen Visiermarken dadurch feststellen, daß die Nasen seiner beiden gerauhten Drücker, die von den schraubenförmigen Drückerfedern betätigt werden, in die viereckigen Rasten an den Führungsleisten des Visierfußes eingreifen. Die Visiermarken sind sowohl auf der oberen wie an den beiden Seitenflächen des Visierfußes angebracht; die oberen Marken werden von der hinteren Abschnittfläche, die seitlichen von den beiden Zeigern des Visierschiebers bestrichen. Die seitlichen Marken nebst den Zeigern dienen nur dazu, die Prüfung und Ueberwachung der richtigen Aufsatzstellung durch den Zug- oder Gruppenführer zu erleichtern. Die Visierklappe schwingt in senkrechter Richtung um den Visierstift, der sie vorn mit dem Visierfuß gelenkig verbindet; in die flach gekrümmten Führungsnuten, mit denen ihre aufrechten Seitenwände versehen sind, greifen die entsprechenden wagerechten Kurvenstifte (Zapfen) des Visierschiebers ein; sie regeln die Bewegung der Visierklappe derart, daß letztere durch das Vorschieben des Visierschiebers (auf eine höhere Entfernungszahl) gehoben, durch das Zurückziehen des Schiebers gesenkt wird. Die in den Kamm (oberen Rand) der Visierklappe eingeschnittene dreieckige Kimme ist bei diesem Visier die einzige, während das deutsche Gewehr 88 vier Kimmen hat. Das Visier läßt sich auf folgende Entfernungen einstellen: 200 m (Standvisier, Visierschieber in der hintersten Stellung), 300 m, 350 m, 400 m, 450 m u.s.w. mit je 50 m Unterschied bis 2000 m. Für S-Munition sind die Visierentfernungen: 400, 500, 550 und weiter um je 50 m ebenfalls bis 2000 m steigend.

Das Mauservisier m/1904 zeigt Fig. 20c.

Je flacher die Flugbahnen und je länger daher die bestrichenen Räume werden, desto größere Strecken vermag das Gewehr mit einer Erhöhung zu beherrschen, desto weniger verschiedene Visierstellungen werden also erforderlich und desto mehr wird die Einrichtung und der Gebrauch des Visiers vereinfacht. wie größte Schußweite, bis zu der die jetzigen Visiere ausreichen, beträgt rund 2000 m.

Verschluß und Schloß bewirken den Abschluß der hinteren Lauföffnung, das Zuführen und Abfeuern der Patronen sowie das Ausziehen und Auswerfen der leeren Hülsen nach dem Schuß. Die früheren (Block-, Klappen- und. Wellen-) Verschlüsse sind' in neuerer Zeit sämtlich durch den schon bei dem preußischen Zündnadelgewehr angewendeten, inzwischen allerdings wesentlich vervollkommneten Kolben- oder Zylinderverschluß verdrängt worden.

Eine Hülfe, deren vorderer Teil, der Hülsenkopf, auf das hintere Laufende aufgeschraubt ist (Fig. 5), nimmt den Verschluß auf. Der mit einem senkrechten HandgriffKnopf«)[469] versehene Verschlußkolben (»Kammer«) (Fig. 5 und 21) greift mit zwei Riegel- oder Stützwarzen (»Kammerwarzen«) in entsprechende Ausdrehungen des Hülsenkopfes ein; dadurch wird der Verschluß verriegelt und der Lauf geschlossen. Bei den meisten Gewehren ist hierzu eine drehende Bewegung des Verschlußkolbens erforderlich; bei einigen (österreichisch-ungarisches und schweizerisches Gewehr und Karabiner) genügt indes zum Schließen und Oeffnen ein geradliniges Vorschieben bezw. Zurückziehen des Kolbens. Der eigentliche Verschlußzylinder ist dann in einem zweiten äußeren Zylinder schraubenartig so geführt, daß ihm dessen geradlinige Bewegung eine Drehung erteilt, die den Verschluß ver- oder entriegelt. Die relativ günstigste Beanspruchung der Waffe durch den Rückstoß wird erreicht, wenn die Riegelwarzen symmetrisch und möglichst weit vorn angeordnet sind.

Beim Oeffnen nimmt der Auszieher b, eine kräftige, vorn am Verschlußkolben angebrachte Kralle (Fig. 21), die vom vorhergehenden Schuß im Lauf verbliebene leere Patronenhülse mit zurück; sie stößt hierbei gegen eine von unten in die Kammerbahn hineinragende Nase, den Auswerfer, und wird dadurch nach oben hinausgeschleudert. Beim Schließen schiebt der Kolben eine neue, aus dem Magazin hervortretende Patrone in den Lauf. Dabei ist es von wesentlicher Bedeutung, daß der Auszieher die Patrone sofort erfaßt und bis zum Auswerfen der verfeuerten Hülfe nicht mehr losläßt; auch bei einem etwaigen Zurückziehen des Verschlußkolbens, gleichviel ob der Verschluß bereits geschlossen war oder nicht, muß die Patrone wieder mit zurückgenommen werden, damit bis zur Abgabe des Schusses keine zweite Patrone vor den Lauf treten kann, weil dies sogenannte »Doppelladen« leicht bedenkliche Folgen hat: Klemmungen, Ladehemmungen und sogar die Entzündung der vorderen Patrone durch den Stoß der hinteren Geschoßspitze.

Das Spannen der Schlagbolzenfeder, die zum Abfeuern den Schlagbolzen (Fig. 22: Schlagbolzen nebst Mutter des spanischen Gewehres m/93) gegen das am Boden der Patrone befindliche Zündhütchen schleudert, wird entweder beim Oeffnen oder Schließen (oder durch beide; Bewegungen gemeinsam) selbsttätig bewirkt. Eine Sperrvorrichtung (»Schlößchen«) erhält das Schloß in gespanntem Zustand, während eine Sicherung, die sich rasch und leicht ein- und ausrücken lassen muß, das selbsttätige Losgehen des gespannten Gewehres bezw. das Oeffnen (und Spannen) verhindert.

Nach dem Schließen löst ein Fingerdruck auf die Abzugzunge (Fig. 5) die Sperrung der gespannten Schlagbolzenfeder aus, die nun den Schlagbolzen betätigt und abfeuert. Die Abzugvorrichtung muß so angeordnet sein, daß keinesfalls vor vollständigem Schließen des Verschlusses abgefeuert werden kann. Bei dem spanischen Gewehr m/93 ist dies dadurch erreicht, daß die Abzuggabel vorn eine Warze trägt, die beim Abziehen in die Hülfenbohrung greift. Solange jedoch der Verschluß geöffnet ist, wird dies durch den Verschlußkolben verhindert, der den lichten Querschnitt der Hülfe ausfüllt. Erst beim Schließen tritt die Aussparung im Verschlußkolben (Fig. 21) über die Warze, so daß diese nach oben ausweichen kann und das Abfeuern gestattet.

Die Verschluß- und Schloßteile des 6,5-mm-Mannlicher-Gewehrs m/95 zeigten mehrfach eine durchaus eigenartige Konstruktion: Der Kolbenverschluß mit Drehbewegung ist vorn durch fünf hintereinander liegende Stützwarzen (Querleisten) auf jeder Seite symmetrisch verriegelt und vom Schloß vollständig getrennt. Letzteres, ein Hahnschloß, liegt unter dem Verschluß und dient zugleich als Verschlußhalter; der Hahn wird beim Oeffnen mittels einer an das hintere Ende des Verschlußkolbens angeschnittenen Schraubenfläche gespannt; seine Ruhrast dient als Sicherung. Der Verschluß trägt nur den Auszieher und enthält den – nicht gefederten – Schlagbolzen, der zum Abfeuern durch den Schlag des Hahns betätigt wird. Der hölzerne Oberschaft reicht von der Hülfe bis zum vorderen Schaftende. Auch an der Mehrladeeinrichtung befanden sich manche Neuerungen: der Patronenrahmen für fünf Schüsse ist sehr schmal bezw. kurz und daher leicht (Leergewicht 7 g); er liegt vorn höher als hinten im Magazinkasten, dessen untere Fläche daher eine sanft ansteigende, nirgends scharf abgesetzte oder vortretende schiefe Ebene zwischen Abzugbügel und Schaft bildet. Der entleerte Patronenrahmen fällt durch eine kleine Oeffnung im Kastenboden heraus. Das Magazin – mit seitlicher Lippe über dem Zubringer – gestattet das Füllen bezw. Nachfüllen mit losen Patronen sowie den Gebrauch der Waffe als Einzellader und verhindert das »Doppelladen«.

Der Schaft besteht aus Kolben, Kolbenhals und langem Teil; er schützt Lauf und Laufmantel gegen Verbiegungen und vereinigt mittels des Beschlags alle Teile zu einem Ganzen, dessen Anordnung die Fortschaffung des Gewehrs auf dem Marsch, die Handhabung und den Gebrauch als Feuer- und als blanke Waffe in zweckmäßiger Weise ermöglicht. Er wird meist aus sorgfältig getrocknetem (bezw. ausgelaugtem) Nußbaumholz angefertigt. Versuche, die Schäfte aus gepreßtem Stahlblech herzustellen, haben bisher zu keinem praktisch brauchbaren Ergebnis geführt.

Der Beschlag dient, außer zur Verbindung der Metallteile mit dem Schaft, auch zur Anbringung des Gewehrriemens und zum Schutz der unteren Kolbenfläche gegen Beschädigungen; er besteht aus Ober- und Unterring, Kolbenkappe, einigen Schrauben u.a.m.

Zubehör: Gewehrriemen, Mündungsdeckel (mit Mündungsschoner) und einige Geräte zum Auseinandernehmen und Zusammensetzen des Gewehrs.


Gewehr

[471] Anmerkung zur Tabelle S. 470, betr. Oesterreich-Ungarn und Bulgarien.

Das österreichisch-ungarische Gewehr m/88/90 ist durch Umgestaltung des Gewehrs m/88 für rauchschwaches Pulver entstanden. Das Gewehr m/95 hat dieselbe Laufweite, Seele, Patrone und Leistung wie m/90; sein Gewicht ist um 840 g vermindert worden; Lauf aus widerstandsfähigerem Stahl; Verschluß mit Geradzug und symmetrischer Verriegelung unmittelbar hinter dem Patronenlager, ähnlich wie beim österreichisch-ungarischen Karabiner m/90; hölzerner Oberschaft (Handschutz); m/95 ist zur allmählichen Ergänzung der Vorrats- und Truppenbestände bestimmt.


Gewehr

Das bulgarische Gewehr feuerte früher (ebenso wie ursprünglich das österreichisch-ungarische Gewehr m/88) mit Schwarzpulver (4 g) und erteilte daher dem Geschoß nur 530 m Mündungsgeschwindigkeit.


Gewehr

Beiwaffe: Kommt teils in der bekannten ursprünglichen Form des eigentlichen Bajonetts, teils in Gestalt eines Dolches, Degens oder Säbels vor. Ueber die Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Muster sind die Ansichten sehr geteilt; nur so viel ist sicher, daß die blanke Waffe infolge der erheblich gesteigerten Feuerwirkung ihre frühere Bedeutung für das Gefecht zum Teil eingebüßt hat.

Die wesentlichsten Einrichtungen und Eigenschaften der heutigen Infanteriegewehre sind in den vorseitigen beiden Zusammenstellungen enthalten. – S.a. Jagdgewehr, Munition für Gewehre, Selbstlader.


Literatur: Marschner, Lehrbuch der Waffenlehre zum Selbststudium für Offiziere aller Waffen, 3. Aufl., Wien 1903/05; Korzen u. Kühn, Waffenlehre, Wien 1905; Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken; Waffenfabrik Mauser, Das Mauser-Mehrladegewehr und seine Munition, Berlin 1904 (nicht im Buchhandel); Wille, Waffenlehre, 3. Aufl., nebst Ergänzungsheft I, Berlin 1905; Schießvorschrift für die Infanterie, Berlin 1905.

R. Wille.

Fig. 1.
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Fig. 2., Fig. 3.
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Fig. 4., Fig. 4a.
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Fig. 5., Fig. 6.
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Fig. 7., Fig. 8.
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Fig. 9.
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Fig. 10., Fig. 11., Fig. 12.
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Fig. 13., Fig. 14., Fig. 15., Fig. 17.
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Fig. 16.
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Fig. 18., Fig. 19.
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Fig. 20.
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Fig. 20a., Fig. 20b.
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Fig. 20c.
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Fig. 21.
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Fig. 22.
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http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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