Stufenbahnen

Stufenbahnen

Stufenbahnen (Gehbahnen), eine Art Stadtbahnanlage für den Personenverkehr, bestehend aus zwei oder mehreren endlosen Plattformen, die einen geschlossenen Ring bilden, mit geeigneter Betriebskraft bewegt und von einer ununterbrochenen Reihe auf Gleisen in gleicher Richtung laufender Wagen getragen werden.

[391] Die erste der nebeneinander stufenweise angeordneten Plattformen, welche voneinander ganz unabhängig sind, wird mit der Geschwindigkeit eines gewöhnlichen Fußgängers (4–5 km pro Stunde) bewegt und liegt 5–10 cm höher als der Gehsteig oder als ein fester Perron, von dem die Fahrgäste während des Gehens an jeder beliebigen Stelle die Plattform besteigen, von dieser auf die zweite mit doppelt so großer Geschwindigkeit, dann auf eine mit dreifacher Geschwindigkeit u.s.w. bewegte Plattform, endlich auf den eigentlichen fahrenden Zug, d.i. eine mit Sitzen ausgestattete Plattform, übertreten bezw. diese in umgekehrter Richtung wieder verlassen können [1]. Dieses vorbeschriebene Bahnsystem hatten Wilhelm und Heinrich Rettig erdacht und nach demselben eine 160 m lange Probestrecke in Münster i. W. im Jahre 1889 erbaut, bei welcher die mit verschiedenen Geschwindigkeiten bewegten Plattformen durch ebensoviele Seile von einer stationären Maschine angetrieben wurden. Die hierbei erzielten günstigen Resultate veranlaßten M.E. Schmidt im Jahre 1891 in Jakson Park zu Chicago eine auf dem Rettigschen Prinzipe beruhende 270 m lange Versuchsbahn, welche Krümmungen von 22,5 m Halbmesser hatte, zu errichten, jedoch mit einer, wie Fig. 1 zeigt, durchgehenden Antriebsachse A, auf welcher Räderpaare R von wachsendem Durchmesser aufgekeilt sind, auf denen die Plattformen P mittels biegsamer Schienen verbunden werden, die sich auf dem Radumfange abwickeln und somit auch unter dem wachsenden Durchmesser größere Geschwindigkeiten erhalten. Diese nur aus zwei Plattformen begehende, von einer Kraftstation elektrisch betriebene Bahn lieferte so günstige Ergebnisse, daß hierdurch die Herstellung der 1281 m langen Stufenbahn auf dem Casino Pier der Kolumbischen Weltausstellung 1893 für die Beförderung der Reisenden von den Schiffen zur Ausfüllung und umgekehrt gesichert war (Fig. 2). Diese Bahn bestand ebenfalls nur aus zwei beweglichen Plattformen, bildete zwei gerade Linien, eine für die Hin- und eine für die Rückfahrt, in Abständen von 3,76 m, deren beide Enden mit Bögen von sehr kleinem Halbmesser verbunden waren. Von einem 1,85 m über dem Erdboden aufgestellten festen Perron konnte über die mit 5 km Geschwindigkeit bewegte Plattform zu der zweiten mit doppelter Geschwindigkeit bewegten Plattform übergestiegen werden. Beide Plattformen wurden von 350 vierräderigen Wagen von je 3,65 m Länge getragen, die auf einem kontinuierlichen Bahngleise von 1,15 m Spurweite liefen. Der elektrische Strom wurde von einer Kraftstation geliefert, von welcher die Bewegung des endlosen Zuges, auf dem 7500 Personen gleichzeitig Platz fanden, geregelt wird, so daß an einem gegebenen Punkte stündlich 32000 Personen vorbeigeführt werden konnten [2].

Eine weitere praktische Anwendung fand dieses Beförderungsmittel von fall gleicher Konstruktion auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896 und kann als erste dem öffentlichen Verkehre dienende Stufenbahn in Europa angesehen werden. Dieselbe hatte eine Länge von 465 m, einen festen Gehsteg und zwei Plattformen; hierbei wurden die auf der Weltausstellung in Chicago im Betriebe gewesenen Wagen verwendet und bestand die Verbindung zwischen den beiden Plattformen, nicht wie in Chicago, aus einem endlosen Band, sondern aus einzelnen, einer Wagenlänge entsprechenden zusammengesetzten Teilen, um das Durchfahren in den Krümmungen zu erleichtern. Die Bahn, deren Bau am 17. März 1896 begonnen hat, wurde am 27. Mai 1896 eröffnet; dieselbe war überdeckt, mit 155 Glüh- und 10 Bogenlampen erleuchtet und hatte bei 20 Rundfahrten pro Stunde die Leistungsfähigkeit, 29760 Personen pro Stunde befördern zu können, was von keinem andern Verkehrsmittel auch nur im entferntesten erreicht wird [3]. Ferner war bei der Pariser Weltausstellung 1900 eine 3,4 km lange elektrisch betriebene Stufenbahn (Plateforme roulant), welche elf Stationen hatte, im Betriebe, um schnell und mühelos zu den Galerien des Marsfeldes, zum Palais du Quai d'Orsay oder zu den Installationen der Invalidenesplanade zu gelangen. Die Plattform bestand aus einem festen, 1,1 m breiten Gehsteig und zwei sich bewegenden eigentlichen Plattformen, welche ununterbrochen in Tätigkeit waren; erstere, 0,9 m breit, bewegte sich mit 4,25 km/St, und die zweite, 2 m breite, mit 8,5 km/St. Die beiden sich bewegenden Plattformen waren von einer Reihe vierräderiger Untergestelle gebildet, die auf seitwärts befindlichen Schienen gelaufen sind, welche Untergestelle durch andre Untergestelle ohne Räder verbunden waren und die Kontinuität des Systems. sicherten. Die Eigentümlichkeit des Systems bestand darin, daß die der Fortbewegung dienenden Teile von dem nützenden und rollenden Materiale getrennt sind. Das ganze System ruhte auf einem ca. 7 m hohen eisernen Viadukt, der von Holzjochen getragen wurde, um Geräusch zu vermeiden und die Vibration abzuschwächen. Der Strom wurde von einer am Marsfelde errichteten Kraftstation mit der gewünschten Spannung zugeführt, um sodann mittels Leitungskabel unter den Dynamos der Plattformen und den Trolleyschienen der Bahn verteilt[392] zu werden [4]. Dermalen wird auch die Herstellung einer Untergrundstufenbahn in Paris in einer 10 km langen geschlossenen Kreislinie geplant, die von der Avenue de l'Opéra ausgeht, die großen Boulevards unter dem Pflaster passiert, den Platz des Theâtre français unterquerend, um schließlich wieder zum Ausgangspunkte zu gelangen. Behufs rascherer Beförderung soll diese Stufenbahn mit vier Plattformen versehen werden, und zwar die erste unbeweglich, die zweite mit 1,5 m, die dritte mit 3 m und die vierte mit 5 m Geschwindigkeit pro Sekunde [5].

Die Vorzüge dieses Systems, welches nur bei Hoch- oder Tiefbahnen in ganz geschlossenem Räume Anwendung finden kann, bestehen in der Bewältigung eines Massenverkehres bei sehr großer Betriebssicherheit ohne Belästigung durch Rauch, Dampfauspuff, Geruch u.s.w., einer vollständig stoßfreien Fahrt bei gleichmäßiger Geschwindigkeit, Entfall von Aufenthalten und denkbar günstigster Ausnutzung der Betriebskraft; dagegen sollen die Anlagekosten solcher Bahnen, wo ein konstanter Massenverkehr zu bewältigen ist, ziemlich hoch sein; dieselben werden mit 450000 ℳ. pro Kilometer veranschlagt.


Literatur: [1] Zentralblatt der Bauverwaltung 1889. – [2] Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1891 und 1892; Zeitung des Ver. Deutscher Eisenbahnverw. Nr. 56, 1893. – [3] Die Schmalspurbahn, Nr. 6, 1896, und Nr. 2, 1897; Die elektrische Stufenbahn auf der Berliner Ausstellung, Glasers Annalen, Bd. 37, 1896; Die Stufenbahn als elektrisches Verkehrsmittel, Uhlands Verkehrszeitung, 1899, Nr. 19. – [5] Eine Untergrundstufenbahn in Paris, Mitteilungen des Vereines für die Förderung des Lokal- und Straßenbahnwesens 1901; Oesterreichische Eisenbahnztg. 1899, 1900 u. 1901. – [4] Plateform mobile, Le Genie civil., T. XXXIV, Nr. 16; Die neueren Verkehrsmittel am Ausstellungsplatze in Paris, Mitteilungen des Vereines für die Förderung des Lokal- und Straßenbahnwesens, 1900.

Ziffer.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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