Schriftgießerei

Schriftgießerei

Schriftgießerei, die Herstellung des Schrift-, Zier- und »Blindmaterials« aus Schriftmetall für den Buchdruck (vgl. Buchdruckerkunst). In der Regel ist in großen Betrieben der Schriftgießerei je eine Abteilung für Stempelschneiderei (s. unten), Stereotypie (s.d.) und für Galvanoplastik (s. Elektrotypie) angegliedert. Mitunter ist sie auch mit der Erzeugung von Messingmaterial und der von Holzschriften verknüpft.

Die Schriftgießerei, in früheren Zeiten größtenteils in den Buchdruckereien selbst geübt, ist heute ein fast durchaus selbständiger und sehr großer Industriezweig geworden. Nur in wenigen ganz großen Druckereibetrieben, und zwar hauptsächlich in den Regierungsdruckereien (z.B. Reichsdruckerei in Berlin, Hof- und Staatsdruckerei in Wien, Imprimerie Nationale in Paris u.s.w.), sind noch eigne vollständige Abteilungen für alle Arbeiten der Schriftgießerei vorhanden. Die Herstellung einer Schrift zerfällt in drei Etappen: 1. in die Erzeugung der Originaltypen oder Urtypen, 2. in die Erzeugung der Matern und 3. in den eigentlichen Schriftguß. Zunächst muß die herzustellende Schrift auf das sorgfältigste gezeichnet werden. Gewöhnlich geschieht dies folgendermaßen. Das etwa in der Größe einer normalen Druckschrift[816] vollkommen durchgezeichnete Schriftbild wird photographisch bedeutend vergrößert, nochmals korrigiert und die Zeichnung »scharf« gemacht. Von diesem vergrößerten Schriftbild werden nun auf photographischem Wege entsprechend den zur Erzeugung beabsichtigten Schriftgraden (vgl. Buchdruckerkunst) die notwendigen verkleinerten Reproduktionen gemacht, die nun dem Stempelschneider als Vorlage dienen. Bei den kleineren Schriftgraden wird die Urform der Typen fast ausnahmslos durch Stempelschnitt erzeugt. Hierbei wird ein Stahlstück in Stabform in Holzkohlenfeuer weich geglüht, dessen Kopffläche absolut blank abgeschliffen, dünn mit Wachs überzogen und hierauf die von der Vorlage abgenommene Pause (man »radiert« mit spitzem Stahlgriffel die Buchstabenkonturen in eine Gelatinefolie und reibt in die Vertiefungen trockenes Farbstoffpulver, das dann auf der Wachsschichte hängen bleibt) abpreßt. Die Buchstabenkonturen werden sodann in den Stahl mit der Radiernadel eingeritzt. Oder es wird die Originalzeichnung mit dem Pantographen bedeutend vergrößert auf eine Zinkplatte übertragen und der Buchstabe scharf eingraviert. Diese Platte bildet dann die Schablone für einen Gravierpantographen, dessen Fahrstift entlang den Einritzungen der Schablone geführt wird, während der Diamant des Zeichenstiftes die Begrenzungsstriche des Buchstabens in beliebig gewähltem Maßstabe auf das Stahlstück eingräbt. Die Schablonen werden auch so gewonnen, daß man von sehr großen Zeichnungen mit dem Pantographen eine kleinere Wachsgravur herstellt und diese galvanoplastisch abformt. – Das Buchstabenbild auf dem Stahlstäbchen wird sodann mit dem Stichel umstochen, das innerhalb der Zeichnung Ueberflüssige ausgehoben oder mit Punzen niedergetrieben (in verstärktem Maße ist das bei der Anwendung von Kontrapunzen der Fall), worauf durch Feilarbeit der Buchstabe freigestellt wird. Er zeigt sich dann verkehrt und erhaben so, wie ihn die spätere Druckletter trägt. Die Herstellung der Stempel (Patrizen) ist so mühsam und zeitraubend, daß hierfür mancherlei Maschinen konstruiert wurden. So schneidet die von Benton nach einmal angefertigten Schablonen Stempel aller Größen durch verschiedene Einstellung eines Hebelsystems. Oder man benutzt, zumindest bei großen Schriftgraden, den Bleischnitt, wobei die Originaltypen aus Bleiklötzchen mittels Stichels oder auch Fräsepantographen herausgearbeitet werden. Die Matrizen (Matern) werden in verschiedener Weise erzeugt. Man schlägt z.B. den gehärteten Stempel mittels eigner Pressen in ein Kupferplättchen ein oder man benutzt Messingklötzchen, die eine trichterförmige Aushöhlung besitzen, in die der Stempelkopf versenkt wird, worauf man die übriggebliebenen Hohlräume im galvanischen Bade füllt. Von Bleischnittoriginaltypen werden die Matern nur durch galvanoplastische Abformung erzeugt. In neuerer Zeit werden auch vielfach die weit haltbareren Nickelmatern hergestellt. Die Matern müssen durch Befeilen mit feinsten Instrumenten justiert werden, d.h. durch entsprechendes Wegnehmen an allen Seiten das Auge so stellen, daß es die richtige Tiefe und Parallelität der Augenbasis und Matrizenoberfläche (was mittels der in einem Gewinde drehbaren Justiernadel geprüft wird) besitze, neuerdings auch bezüglich seiner Stellung (auf Linie und Weite justieren) auf allen Matern desselben Schriftgrades übereinstimme. Zur Kontrolle der vertikalen oder der schrägen Stellung (bei Kursivschriften) dienen dem Justierer besondere Instrumente. Diese sind in manchen Gießereien, wenn sie zur Prüfung der Dimensionen von Buchstaben dienen, von außerordentlicher Präzision in der Anzeige und auch ziemlich komplizierter Bauart. – Das Schriftmetall wird je nach seiner Bestimmung (ob für kleine oder große Schriften, für Spatien, Regletten, Linien oder Stege, vgl. Buchdruckerkunst) verschieden zusammengesetzt. Werden geringere Anforderungen rücksichtlich Härte und Zähigkeit an das Endprodukt gestellt, so ist ein recht gutes Metall durch die Legierung von 75 Teilen gutem Weichblei, 23 Teilen reinem Antimon regulus und 2 Teilen Zinn erhältlich. Für Schriften soll das Zeug aus 68 Teilen Weichblei, 26 Teilen Antimon und 6 Teilen Zinn bestehen, während für Schriften mit überhängenden Teilen (Schreib-, Ronde- und Kursivschriften) erst eine Mischung von 60 Teilen Weichblei, 30 Teilen Antimon und 10 Teilen Zinn die nötige große Widerstandsfähigkeit gegen das Abbrechen besitzt. Manche empfehlen noch die Anwesenheit einiger Prozente von Kupfer und Wismut. Ferner ist für den Guß auf Komplettgießmaschinen ein Zeug mit hohem Zinngehalt vorteilhaft, weil einer mit geringerem Zinngehalt zu schwerflüssig ist und deshalb manchmal gern überhitzt wird. – Zum Gießen der Typen dienen Handgießinstrumente, Handgießmaschinen und Komplettgießmaschinen. Die Handgießinstrumente bestehen aus zwei mit einem Holzmantel wegen der Erhitzung umkleideten, auseinandernehmbaren Hälften, die aus dem Bodenstück (das mit dem der andern Hälfte zusammenstößt), dem Kern (dieser bestimmt den Kegel, Grad, Korps der Schrift), den Backen (zur Aufnahme der Mater) und den Angüssen bestehen. Eine Anlegschraube läßt die Matrize einstellen, ein federnder Bügel hält sie fest. Beim zusammengelegten Instrument ist nun eine trichterförmige, winklige Oeffnung frei, in die das Schriftmetall mit einem Löffel eingegossen wird. Die Handgießinstrumente dienen heute nur mehr dem Maternjustierer zum Gusse der Probebuchstaben, ferner zur Erzeugung von »Linien« und hier und da von großem Blindmaterial. Die Handgießmaschinen werden dagegen noch vielfach, namentlich für den Guß größerer Schriften benutzt. Die erste soll von William Wing 1805 gebaut worden sein. Bekannt und auf dem Kontinent verwendet wurde jedoch erst die von David Bruce 1838 in Brooklyn in den Handel gebrachte. Heute ist in Deutschland die von Küstermann & Co. in Berlin fabrizierte die verbreitetste. Das Instrument befindet sich am Kopfe der Maschine. Die Mater wird in den beweglichen Materkasten gespannt, der automatisch an die Gießform angedrückt und nach dem Gusse wieder abgezogen wird. Stellschrauben gestatten ein sehr genaues Einrichten des Instruments. Der Betrieb erfolgt durch eine Welle mit Krummzapfen und Exzentern. Zunächst wird der Verschluß der Form durch den Malerkasten einerseits besorgt, worauf der auf einer drehbaren Säule angeordnete Gießkopf samt Instrument gegen die Ausströmungsöffnung eines Pumpwerkes gedrückt und Dichtung durch Auflegen einer Klappe bewirkt wird; ein Hebel[817] veranlaßt das Niedergehen des Pumpenkolbens, der eine bestimmte Menge Zeugs in die Form drückt. Alle diese Funktionen erfolgen während einer halben Umdrehung der Hauptwelle; während der zweiten halben Umdrehung geht zuerst der Kolben hoch, dann geht das Instrument von der Pumpe ab, worauf es geöffnet, der Maternkasten abgezogen und die gegossene Letter entfernt wird. Die zum Schmelzen des Metalls zumeist benutzte Gasflamme muß auf Pumpe und Leitungskanal so einwirken können, daß das Metall darin auf genügend hoher und möglichst gleichmäßiger Temperatur erhalten bleibt. Sehr Sorgfältig muß das Zurichten der Gießinstrumente erfolgen, nämlich ihre Einstellung, damit die sämtlichen Dimensionen der Lettern genau stimmen. Heute werden sehr häufig für das Zurichten Mechaniker ausgebildet. Das Prüfen der Buchstaben erfolgt mittels Besehblechs und Typometer (s.d.). Die mittels Handgießinstrumenten, desgleichen die auf Handgießmaschinen erzeugten Typen bedürfen noch mancher Behandlung, bevor sie fertig sind. Zunächst wird durch Hilfsarbeiterinnen der Gußzapfen (Anguß) abgebrochen; dann werden die Typen durch besondere Schleiferinnen an den Weiteseiten auf Feilen oder rotierenden Schmirgelscheiben abgeschliffen (wobei Fehler des Gusses, z.B. ein dickerer Kopf, durch geübte Arbeiterinnen beseitigt werden können), aufgesetzt (in winkligen Stäben, Winkelhaken, aneinandergereiht), in Bestoßzeugladen (oder in neuerer Zeit mittels der Küstermannschen Höhenfräsmaschine) »auf Höhe« gehobelt, an der Stelle des Gußzapfens am Fuße ausgestoßen und schließlich vom Fertigmacher nochmals genau durchgeprüft und, wenn nötig, bearbeitet. Alle diese Manipulationen sind bei Benutzung sogenannter Komplettgießmaschinen, die den Buchstaben vollkommen fertig liefern, überflüssig. Die älteste Komplettmaschine, die von Atkinson, ist nur mehr wenig im Gebrauche. Mehr die englische von M.J. Hepurn & P.M. Slaukes, dann besonders die von Foucher Frères in Paris; in Deutschland ist die von Küstermann & Co. in Berlin am häufigsten benutzt. Der gegossene Buchstabe wird vom Kern aus dem Instrument herausgestoßen, von einer Zange gepackt und an zwei Messern vorbeigeführt, welche die Letter an den »Weiteseiten« bestoßen, zugleich gelangt der Gußzapfen zum Abbrechen, worauf auf der Fertigmacherbahn andre Messer die »Kegelseiten« bearbeiten und den Fuß ausstoßen. Bei der neuen Bertholdschen Doppelkomplettmaschine (von Küstermann & Co. in Berlin gebaut) schwingt das Instrument vor dem Pumpwerke nach links und rechts und besitzt zwei Kernträger. Bei jedem halben Hube wird nun eine Type gegossen und eine ausgestoßen, so daß die Maschine während einer Tour zwei Lettern liefert. Bei allen Komplettmaschinen ist der Pumpenkolben als sogenannter Ventilkolben ausgebildet, der einen sehr kurzen Hub ermöglicht. Der Schmelztiegel ist nach allen Seiten leicht verstellbar. Die Matern werden in einem Kasten (bei den Küstermannschen) oder Rahmen (bei den Hepurnschen) oder einfach von einem Stifte (bei den Foucherschen Maschinen) festgehalten. – Bei den amerikanischen Komplettmaschinen können zumeist nur »auf Linie und Weite justierte« (s. oben) Matrizen benutzt werden, wodurch das bei jedem Buchstaben neuen Bildes sonst nötige Zurichten des Instruments entfällt. Auf nicht besonders hierfür eingerichteten Gießmaschinen ist dagegen die Verwendung derartiger kostspieliger Matern unvorteilhaft, weil die Genauigkeit während des Gusses kaum einzuhalten ist. – Sehr schwierig ist der Guß von Schreibschriften, die durch die seitlich überhängenden Ober- und Unterlängen komplizierter Gießinstrumente mit abgeschrägten Kernen und besonders eingerichteter Schieber bedürfen. – Für den Guß von Blindmaterial wie Regletten und Durchschuß (zum Durchschießen der Zeilen), Quadraten und Stege (zum Ausfüllen größerer leerer Räume in den Satzformen) dienen besondere Gießapparate. – Holzschriften, die nur in großen Graden (z.B. für Plakate u. dergl.) verfertigt werden, stellt man aus Birnbaumholz- (selten noch aus Ahornholz-)klötzchen her, die auf Fräsepantographen nach Schablonen geschnitten werden; und zwar kann man nach einem Satze Schablonen beliebige Grade erzeugen. In ähnlicher Weise wird ein großer Teil des Messingziermaterials hergestellt. »Messinglinien« werden auf gewalzten Blechstreifen »gezogen«. – Große »Messingschriften« können gleich den Holzschriften gefräst werden, oder man formt Modelle in Sand ab und gießt. Dies wird zumeist in einer Gelbgießerei besorgt, während das Putzen des rohen Gusses, das Schleifen des Schriftbildes und das Aufmontieren auf Bleiuntersätze dann in der Regel in der Schriftgießerei vorgenommen wird.


Literatur: Bachmann, Die Schriftgießerei, Leipzig 1868; Smalian, Handbuch für Buchdrucker im Verkehr mit Schriftgießereien, 2. Aufl., Leipzig 1877; Wentscher, L., Maschinen der amerikanischen Druckindustrie; Niel, R., Die Entstehung der Typen, Graphische Revue, Wien 1907; Unger, A.W., Die Herstellung von Büchern, Illustrationen u.s.w., Halle a. S. 1906.

A.W. Unger.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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