Parallelführung

Parallelführung

Parallelführung. Der dem Worte entsprechende Begriff ist ein sehr umfassender. Rein geometrisch genommen kann sich Parallelismus nur auf geradlinige Gebilde beziehen; nur ein solches kann daher parallel geführt werden, d.h. so, daß ein vorhandener Parallelismus bestehen bleibt. In der Anwendung auf die Bewegung wirklicher Körper ist es jedoch unwesentlich, ob sie geradlinige Formen besitzen oder ob dieselben ihnen hinzugedacht werden. Wenn nur zwei materielle Punkte eines Körpers sich so bewegen, daß die durch sie bestimmte Gerade in einem festen oder selbst wieder beweglichen Räume parallel geführt ist, so besitzt der Körper schon die Eigenschaft der Parallelführung dem betreffenden Räume gegenüber.

Eine Gerade kann einer Ebene oder einer Geraden parallel sein. Der zweite Fall ist gewissermaßen eine Verdoppelung des ersten; er entsteht, wenn eine Gerade zu zwei Ebenen parallel ist, zwischen ihr und der geraden Schnittlinie der Ebenen. Sonach ist der erste Fall der allgemeinere. Ist er für eine Gerade G und eine Ebene E erwiesen, so gilt er zugleich für sämtliche mit G parallele denkbare Geraden des einen gegenüber sämtlichen mit E parallelen Ebenen des andern Körpers. Bedienen wir uns des Zeichens G1E1 als Ausdruck für eine Parallelführung dieser Art, so bedeutet G1 die Richtung einer Geraden, E1 die Richtung einer Ebene, zu welcher G1 stets parallel zu bleiben gezwungen ist. Bei einem schwimmenden Stamm, einem rohen Sinnbild für diese Parallelführung, würde G1 die Richtung der Achse, E1 die Spiegelebene des Wassers bedeuten. Besteht für dieselben Körper noch eine zweite Parallelführung G2E1 zwischen der Geraden von der Richtung G2 und der Ebene von der[30] Richtung E1, so ist hierdurch zugleich bedingt, daß die Ebenenrichtung G1 G2 parallel mit E1 bleibt, und daß die Normale von G1 G2 parallel bleibt zur Normale von E1. Wie zu erwarten war, führt also die Bindung zweier Körper durch zwei einfache Parallelführungen zur Parallelführung zwischen zwei Geraden. Kommt nun noch eine dritte Parallelführung G1E2 hinzu, d.h. eine solche zwischen der ersten Richtung G1 und einer neuen Ebenenschar E2, so muß der Schnitt E1 E2 auch parallel bleiben mit G1. Damit wird die Drehung des einen Körpers dem andern gegenüber vollständig ausgeschlossen. Es bleiben sonach nur noch die Verschiebungen nach drei Achsen möglich.

Aus der vorgehenden Darstellung ergibt sich die Berechtigung, zwischen einfachen, zweifachen und dreifachen Parallelführungen zu unterscheiden. Schreibt man dem vollkommen freien Körper nach Thomson 6 Freiheitsgrade der Bewegung (s.d. und [1]) zu, so verbleiben bei der einfachen Parallelführung deren fünf, bei der zweifachen vier, bei der dreifachen drei. Durch die Berührung zweier Körper in einem Punkte wird bekanntlich die gegenseitige Freiheit um je einen Grad vermindert. Bei der Parallelführung ist dies ein unendlich ferner Punkt. Um also zwei Körper durch die Gestalt ihrer Berührungsflächen gegenseitig parallel zu führen, müßten ein, zwei oder drei unendlich entfernte Berührungspunkte wirklich vorhanden sein. Da dies bei endlichen Körpern unmöglich ist, so ist auch eine Parallelführung, welche die Freiheit der Verschiebung nicht aufhebt, zwischen zwei Körpern durch diese selbst, d.h. durch kinematische Elementenpaare, unmöglich.

Sieht man von der Parallelführung durch innere Kräfte ab, z.B. der zweifachen Parallelführung des Lotes durch die Schwere, der dreifachen Parallelführung der Magnetnadel durch den Erdmagnetismus, so sind also zur mechanischen Parallelführung zwischen zwei Körpern immer noch Zwischenkörper notwendig, welche mit jenen eine offene kinematische Kette bilden. Die Elementenpaare derselben können sowohl einfach wie mehrfach beweglich sein. An einfach beweglichen sind zu einer dreifachen Parallelführung drei, zu einer zweifachen vier, zu einer einfachen fünf erforderlich. Drei Prismenpaare, deren Bewegungsrichtungen etwa rechtwinklig zueinander sein können, ergeben die dreifache Parallelführung. Fügt man ein Drehkörperpaar hinzu, so erhält man die zweifache Parallelführung und aus dieser durch Hinzufügung eines zweiten, zu dem ersten rechtwinkligen Drehkörperpaares eine einfache Parallelführung. In diesen Verbindungen kann z.B. ein Zylinderpaar zum Ersatz für ein Prismen- und ein Drehkörperpaar dienen, so daß eine einfache Parallelführung auch aus einem Prismenpaar und zwei Zylinderpaaren bestehen könnte.

Für die zweifache Parallelführung erhält man die einfachste Kette aus einem Plattenpaar und einem Prismenpaar. Dieselbe ist etwa als Notenpult, Zielbrett, Maßstabhalter und andres mehr verwendbar. Eine der beiden Platten im Paar kann durch einen Dreifuß ersetzt werden, die andre bildet ein ebener Fußboden. Das Prismenpaar ist senkrecht und dient zur Höheneinstellung. Auch der Schraubsessel gehört hierher; er zeigt das Prismenpaar durch ein Schraubenpaar ersetzt. In den hier angedeuteten Ketten können ohne wesentliche Aenderung die Prismenpaare durch höhere, einfach bewegliche Parallelpaare ersetzt werden, die Drehkörperpaare aber durch höhere Paare, deren Achsflächen allgemeine Zylinderflächen sind, doch können diese Möglichkeiten hier nicht weiter verfolgt werden. Wichtiger ist der Ersatz des Prismenpaares durch ein Gelenkparallelogramm. Um die dreifache Parallelführung herzustellen, würden drei Parallelogramme so aneinander zu reihen sein, daß wenigstens eines in andrer Ebene liegt als die beiden andern.

Ist schon für die von jedem Nebenzwang freien Parallelführungen die Zahl der mechanischen Lösungen eine unbegrenzte, so steigt diese noch viel mehr, wenn auch diejenigen Mechanismen mit in Betracht gezogen werden, bei denen außer dem Parallelzwang noch andrer Zwang geübt wird. Obgleich diese Lösungen teilweise praktisch wichtig sind, ja wichtiger als die allgemeine Lösung, so führt die Verfolgung doch zu sehr ins einzelne, um an dieser Stelle weiter behandelt werden zu können. Zahlreiche Beispiele bieten die Werkzeugmaschinen, die Brückenwagen, Graviermaschinen, Stickmaschinen, Krane, Schiebebühnen, Wandarme für Gasbeleuchtung, Kupplungen für nicht konaxiale Wellen. Welchen Umfang das ganze Gebiet hat, erhellt vielleicht am besten aus dem Umstand, daß sämtliche Mechanismen, welche in die ebene Kinematik gehören, zugleich zweifache Parallelführungen sind.

Bei den praktischen Anwendungen der Parallelführungen sind es einige allgemeine kinematische und statische Eigenschaften, welche man auszunutzen sucht. Wird ein Punkt eines dreifach parallel geführten Körpers auf einer beliebigen Kurve bewegt, so beschreibt jeder andre Punkt des Körpers eine kongruente Kurve. Bei zweifacher Parallelführung gilt dies nur noch hinsichtlich solcher Punktpaare, welche auf derselben Normalen zu E1 liegen, bei der einfachen überhaupt nicht mehr. Für Zwecke der Kurvenverlegung oder -vervielfältigung können daher nur die zwei- oder dreifachen Parallelführungen benutzt werden.

Die Richtungseigenschaften der Geraden und Ebenen kommen zur Geltung bei Mechanismen zur langsamen Bewegung offener Gefäße, z.B. bei Schiffshebewerken, bei Beleuchtungskörpern oder andern an die Lotrichtung gebundenen Gegenständen. Für beide Zwecke genügt die zweifache Parallelführung, doch ist die dreifache oft vorzuziehen, wenn deren Freiheitsgrad ausreicht.

Die statischen Eigenschaften erkennt man am leichtesten im Hinblick auf die unendlich fernen Punkte. In obenstehender Figur stelle die Kurve A B C den beweglichen Körper vor. A sei ein zunächst endlich entfernter Berührungspunkt, K1 und K2 seien Kräfte in einer durch die Berührungsnormale gehenden Ebene, b und c ihre Hebelarme, bezogen auf A. Dann gilt die Momentengleichung K1 b = K2 c, nach welcher allgemein K2 = (b : c) K1 ist. Für b = ∞[31] und c = ∞ wird b : c = 1, auch wenn cb einen endlichen Wert besitzt. Hieraus folgt der Satz: Bei einer einfachen Parallelführung können Kräfte, welche normal zur Ebene E gerichtet sind, ohne Störung des Gleichgewichts längs der Geraden G verschoben werden. Die Erweiterungen dieses Satzes lauten: Bei einer zweifachen Parallelführung können Kräfte, welche normal zu E gerichtet sind, bei einer dreifachen Parallelführung beliebig gerichtete Kräfte beliebig parallel verschoben werden, ohne das Gleichgewicht zu stören.

Die bei der Verschiebung trotzdem auftretenden Kräftepaare werden durch Reaktionen der Bestandteile des Mechanismus dynamisch unwirksam gemacht. Die so entstehenden Beanspruchungen und Reibungswiderstände können oft sehr Hörend sein und, wie schon das einseitige Aufziehen einer Schublade zeigt, das soeben gefundene Resultat wesentlich abändern. Das ist der Grund für die Anordnung von zusätzlichen Bestandteilen zu kinematisch ausreichenden Parallelführungen, welche gemeinsam als Entladungen bezeichnet werden können. Hierher gehört z.B. die Anwendung von zwei Zahnstangen, zwei Schrauben oder zwei Ketten zum Aufwinden eines Schützenbrettes. Auch die Seilparallelführung beim Selfaktor dient nur diesem Zweck, da rein kinematisch die Schienenführung schon genügen würde. In beiden Beispielen liegt eine dreifache Parallelführung vor, welcher neben dem Parallelzwang noch zwei Freiheitsgrade entzogen sind, so daß sie einfach beweglich ist.

Zum Schluß sei bemerkt, daß in der Technik die hier durchgeführten Unterscheidungen noch nicht eingebürgert sind, ja daß sogar die Worte Parallelführung und Geradführung häufig in gleichem Sinne gebraucht werden, was jedenfalls dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Geradführung nur dazu dient, einen einzigen Punkt eines Körpers auf einer Geraden zu bewegen.


Literatur: [1] Grashof, Theoretische Maschinenlehre, Bd. 2, Leipzig 1883.

Brauer.

Parallelführung

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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