Kunstseide [2]

Kunstseide [2]

Kunstseide. Neben dem die Herstellung der Kollodiumseide (Nitrocelluloseseide) ermöglichenden Nitrocelluloseverfahren haben nur zwei Verfahren sich im Großbetrieb bewährt und sich bis heute so entwickelt, daß sie mit dem Nitrocelluloseverfahren erfolgreich in Wettbewerb getreten sind: die Gewinnung von Kunstseide (Glanzstoff) aus kupferammoniakalischer Celluloselösung und die Viskoseseide aus Cellulosexanthogenatlösung. An der Höhe der Produktion gemessen, sind die Nitrocelluloseseidefabriken noch die bedeutendsten. Nicht viel weniger stellen die Glanzstoffabriken her. Die Gesamtproduktion an Viskoseseide schätzt man auf ungefähr ein Sechstel der Weltproduktion an Kunstseide, indessen deutet die Entwicklung der Viskoseseidefabrikation darauf hin, daß in ihr sogar dem Glanzstoffverfahren ein beachtenswerter Konkurrent erwächst, da das Viskoseverfahren letzteres noch an Billigkeit übertrifft. – Im folgenden soll über die drei genannten Verfahren in ihrer gegenwärtigen Gestalt berichtet werden.

[466] I. Das Nitrocelluloseverfahren für Kollodiumseide (Nitrocelluloseseide).

Die Gleichmäßigkeit des Ausgangsmaterials, der Baumwolle, wird durch eine Vorbehandlung erreicht, die in mehrstündigem Erhitzen derselben unter Druck über 100° C. mit zweiprozentiger Natronlauge unter Zusatz von Harzfeile besteht. Waschen, nötigenfalls Bleichen und Trocknen beendet diesen Prozeß. – Die Nitrierung erfolgt auf verschiedene Weise, je nachdem die herzustellende Nitrocellulose zum Trocken- oder Naßspinnen bestimmt ist. Für die Herstellung leicht löslicher Nitrocellulose für das Chardonnet-Trockenspinnverfahren ist die Anwendung einer Milchsäure aus gleichen Teilen konzentrierter Schwefelsäure und Salpetersäure mit 19–19,5% Wasser notwendig. Für das Lehnersche Naßspinnverfahren eignet sich ein Nitriergemisch von etwa 48% Schwefelsäure, 37,5% Salpetersäure und 15% Wasser. Das Verhältnis der Baumwolle zur Nitriersäure beträgt 1 : 25 bis 1 : 30. – Die absolut trockene Baumwolle wird direkt aus den Trockenkammern in das etwa 40° warme Nitriergemisch gebracht, wobei Sorge getragen wird, daß die Temperatur nicht über 50° steigt. Erfolgt die Nitrierung in Tontöpfen, so muß öfters umgerührt werden. Nach etwa 20 bis 30 Minuten ist der Nitrierprozeß beendet. Die Fasern erscheinen dann im Polarisationsapparat schwach stahlblau. Die anhaftende Säure wird abgeschleudert und das Schleudergut sofort zerkleinert und in einen Bottich mit Wasser gebracht, wo es mit fließendem Wasser so lange ausgewaschen wird, bis das abfließende Wasser nicht mehr sauer reagiert. Die abgeschleuderte Säure wird mit konzentrierter Säure wieder auf die ursprüngliche Zusammensetzung gebracht. Zur Entfernung der letzten Säurespuren wird die Kollodiumwolle dann im Mahlholländer zerkleinert und darauf einer mehrstündigen Kochung unter Druck unterworfen, um sie stabil zu machen. Die Trocknung erfolgt in mit Luft von 40° geheizten Trockenhäusern oder in Vakuumtrockenschränken, die mit heißem Wasser geheizt werden. Gute Kollodiumwolle muß in einem Gemisch von 60 Teilen Aether und 40 Teilen Alkohol vollkommen und leicht bis zu der durch das Cochiussche Viskosimeter (Bestimmung der Sekundenzahl, die eine Luftblase braucht, um eine bestimmte Flüssigkeitshöhe zu durchsteigen) bestimmbaren üblichen Konzentration löslich sein. Hat sich die Kollodiumwolle durch diese Untersuchung, ferner durch die Bestimmung des Stickstoffgehalts nach Schulze-Tiemann oder mit dem Nitrometer nach Lange oder Hempel als brauchbar erwiesen, so stellt man daraus die Spinnlösung her, indem man die Nitrowolle in luftdicht verschlossenen verzinnten Kesseln mit der bestimmten Menge Aetheralkohol übergießt und durch tüchtiges Mischen mittels eines wagerechten Rührwerkes in Lösung bringt. Für das Trockenspinnen nach de Chardonnet eignet sich am besten eine etwa 25 prozentige Lösung, für das Lehnersche Naßspinnverfahren benötigt man ein etwa 15 prozentiges Kollodium, dessen Viskosität noch durch Zusatz von geringen Mengen Säuren herabgemindert wird. Bei seiner Herstellung kann man an dem teuren Aether durch ausgiebige Verwendung von Alkohol sparen, da das Lösungsmittel nicht die hohe Leichtflüchtigkeit aufzuwerten braucht wie beim Trockenspinnkollodium. Die Spinnlösung muß zur Entfernung alles Ungelösten filtriert werden. Man benützt dazu meist Filterpressen, in denen das Kollodium erst durch ein engmaschiges Gewebe aus verzinntem Metalldraht und dann durch eine etwa 10 mm starke Watteschicht zwischen Baumwolltüchern gedrückt wird. Bei den verhältnismäßig dünnflüssigen Lösungen nach Lehn er genügt zu diesem Zweck Druckluft von wenigen Atmosphären. Für das dickflüssige Kollodium nach de Chardonnet sind dagegen Druckkräfte bis zu 60 Atmosphären und infolgedessen besonders stark gebaute Filterpressen nötig. Der Druck wird durch eine hydraulische Pumpe erzeugt mittels einer Flüssigkeit wie Wasser oder, wegen der Gefahr der Klumpenbildung und Düsenverstopfung bei Undichtheit des Kolbens, besser Amylacetat, die auf den Kolben drückt, der sich in einem starkwandigen Zylinder bewegt und das Kollodium vor sich her nach den Filterpressen drückt. Die filtrierte Lösung wird einige Zeit in verzinnten Kesseln aufbewahrt, teils um vollständiges Entweichen der Luftbläschen aus der Lösung zu erzielen, teils um sie noch reifen zu lassen, d.h. sie in einen (Polymerisations-) Zustand überzuführen, in dem die Nitrocellulose unter geeigneten Bedingungen große Neigung zu schneller Abscheidung aus ihren Lösungen hat. Bei den mit Säure versetzten Kollodiumlösungen tritt während der Lagerung eine erhebliche Abnahme der Viskosität ein, wie sie zum Verspinnen nach dem Verfahren Lehners bezweckt wird. – De Chardonnet unterwirft sein hochprozentiges Kollodium dem Trockenspinnverfahren, er preßt die Fäden an der Luft aus. Damit sie schnell erstarren, müssen sie von geringer Dicke sein. Man verwendet deshalb Düsen von 0,08 bis 0,1 mm Durchmesser, durch die man die dicke Spinnlösung mit Drucken bis zu 50 Atmosphären preßt. Die Fädchen erstarren schnell an feuchter Luft und werden in einer Anzahl von 16 bis 18 in einer feststehenden Glasöse zu einem Faden vereinigt und mit Hilfe eines hin und her gehenden Fadenführers auf einer Spule aufgewickelt. Die mit Alkohol- und Aetherdämpfen beladene Luft wird durch Ventilatoren in Kammern gesaugt, wo ihr durch zerstäubten Amylalkohol die Dämpfe der Lösungsmittel entzogen werden, die man durch fraktionierte Destillation der amylalkoholischen Lösung wiedergewinnt.

Wenn schon die Spinnmaschine beim Trockenspinnverfahren sehr einfach ist, da sie aus einem Zuleitungsrohr für die Spinnlösung besteht, auf dem die einzelnen Düsen sitzen, ferner den Fadensammlern, den Fadenführern und der Aufspulvorrichtung, so ist die Apparatur beim Naßspinnverfahren nach Lehner doch bedeutend leichter und billiger, da Lehner seine dünnflüssige Lösung durch den eigenen Druck von erhöht stehenden Gefäßen durch Mundstücke mit bis 0,5 mm weiten Oeffnungen ausfließen läßt und somit die Leitungen aus Glas mit Gummiverbindungen bestehen können. Die Düsen sind in der Stirnwand eines flachen horizontalen Behälters, der mit Wasser gefüllt ist, angebracht oder können in diesen durch eine drehbare Vorrichtung hinein- und herausgehoben werden. Die Spinnlösung tritt aus den wagerecht gerichteten Düsen in ziemlich dickem Strahl langsam aus, der, ehe er erhärtet, durch die Abzugsvorrichtung[467] zu einem dünnen Faden ausgezogen wird. Dieser erstarrt seinerseits leicht und wird auf die außerhalb des Bades befindliche Spule aufgewickelt. Bei dieser Streckung und langsamen Füllung des Fadens ist natürlich keine hohe Abzugsgeschwindigkeit zulässig, weshalb das Naßspinnverfahren dem Trockenspinnverfahren in bezug auf Leistungsfähigkeit nachsteht. Dieser Nachteil wird einigermaßen ausgeglichen durch die Möglichkeit, dem langsamgehenden Faden auf seinem Wege zur Spule eine geringe Verzwirnung zu erteilen, die die weitere Verarbeitung erleichtert und den Faden bei diesen Operationen schont. Die Zwirnung erhält der Faden mittels eines an die Spinnmaschine angeschlossenen Flügelzwirnapparates. Die besponnenen Spinnspulen gelangen nun in die Spulerei, wo auf Spulmaschinen die Seide auf kleinere Holzspulen umgespult wird. Auf sogenannten Etagenzwirnmaschinen erhält die Seide die gewünschte Zwirnung, worauf sie schließlich auf Haspelmaschinen in Strangform gebracht wird.

Zur Denitrierung hängt man die leicht entzündliche Kollodiumseide im Strang in eine etwa 5 prozentige Lösung von Natriumsulfhydrat, die sich in Tonwannen unter Abzügen befindet, unter öfterem Umziehen ein. Mit starker Selbsterwärmung der Flüssigkeit beginnt alsbald die Reduktion der Nitroverbindung. Sie ist nach mehrstündiger Einwirkung beendet, wenn die vorher starren Fäden sich völlig weich und geschmeidig anfühlen. Nach beendigter Denitrierung werden die Stränge mit reinem Wasser gespült und zur Entfernung etwa auf der Faser niedergeschlagenen Eisensulfids mit sehr verdünnter Salzsäure gekocht. Darauf wird die Seide gewaschen und, wenn nötig, mit Bleichlauge vorsichtig gebleicht, zum Schluß noch einmal gründlich gespült, zentrifugiert und mittels warmer Luft langsam getrocknet.

II. Das Glanzstoffverfahren.

Auch bei diesem Verfahren ist die Vorbehandlung der Baumwolle von Bedeutung. Lang- und feinfaserige Spinnereiabfälle bester Art oder von guter Rohbaumwolle werden mit der zehnfachen Gewichtsmenge einer in 1000 l 30 kg wasserfreie Soda und 50 kg Natriumhydrat enthaltenden Lösung in einem Gebauerschen Sektionsbleichkessel bei 21/2 Atmosphären 3 bis 31/2 Stunden gekocht, wobei eine Hydratisierung stattfindet. Die gekochte Baumwolle wird in einem Holländer gewaschen und in Zentrifugen trocken geschleudert. Dann passiert sie einen Zerreißapparat, der die verfilzten Baumwollfasern trennt, und wird in Tonzeugreservoiren mit Hyperchloritlösung gebleicht, worauf wieder die Wäsche im Holländer und das Abschleudern auf der Zentrifuge folgt. Die feuchte Baumwolle wird in eisernen Behältern aufbewahrt.

Die Herstellung der Kupferoxydammoniaklösung geschieht nach dem Verfahren des D.R.P. 115989 von Bronnert, Fremery und Urban. In Stücke zerschnittenes reines Kupfer wird in einem stehenden Zylinder mit Ammoniakflüssigkeit von 20% übergossen, worauf in den Zylinder mittels Gasuhr gemessene kalte Luft unter 2 Atmosphären Druck eingepreßt wird. Zur Erleichterung der Auflösung des Kupfers gibt man etwas Milchsäure hinzu. Die Temperatur der Lösung darf 4° nicht übersteigen, deshalb ist der Zylinder mit Isolierschicht und Kühlmantel versehen, in dem die kalte Sole einer Eismaschine fließt. Die Stärke der ammoniakalischen Kupferlösung wird mittels Aräometers kontrolliert. Aus dem Zylinder fließt die Lösung in ein graduiertes Reservoir, von wo aus man abgemessene Mengen derselben in horizontal liegende eiserne Zylinder fließen läßt, die als Mischkessel dienen und deren mit Rührflügeln besetzte Wellen 55 bis 60 Umdrehungen in der Minute machen. Sie stehen im Keller und werden ebenfalls durch Kühlung auf 4° gehalten. Um die Auflösung der Baumwolle zu beschleunigen, gibt man der Kupferlösung etwas Natronlauge zu. Auf 100 l Lösung nimmt man 7 bis 8 kg der feuchten Baumwolle; dies ergibt unter Annahme von 25% Feuchtigkeit eine etwa 5 bis 51/2 prozentige Celluloselösung. Um festere Fäden zu erhalten, stellt man die Lösungen neuerdings 8 bis 10 prozentig her. Das Rühren wird so lange fortgesetzt, bis an einer Probe völlige Lösung der Baumwolle festgestellt ist. Von der Lösung bestimmt man die Viskosität. Aus dem Mischkessel drückt man mit Druckluft von 3 bis 4 Atmosphären die Lösung durch drei mit feinmaschigen Metalltüchern versehene Filterpressen, zwischen die Montejus eingeschaltet sind. Die filtrierte Lösung gelangt schließlich in die Spinnkessel, die immer paarweise vorhanden sind und abwechselnd benutzt werden. Zum Auspressen der Spinnlösung aus den Düsen genügt ein Druck von 2 bis 21/2 Atmosphären. Die Düsen endigen in Kapillaren von 0,1 bis 0,2 mm Durchmesser. Die zum Fällen der austretenden Fäden dienende Schwefelsäure hat vorteilhaft einen Gehalt von 50% Monohydrat. Zur Erneuerung der verbrauchten Säure läßt man einen Teil davon ablaufen und setzt eine berechnete Menge stärkere Säure hinzu. Das Auswaschen der Säure aus den Fäden erfolgt mittels einer stark verdünnten wässerigen Lösung von Ammoniumacetat oder -formiat auf einem passenden Gestell durch Betropfen der übereinanderliegenden Glaszylinder, wobei die Walzen nach jedem Abzug in der Spinnerei unter Drehung um 1/4 Umfang eine Etage höher gelegt werden, bis sie schließlich von der obersten vollständig ausgewaschen weggenommen werden. Der Waschung folgt noch eine kurze Behandlung der Seide auf den Spulen mit einer 50° warmen, schwachen, ammoniakalischen Seifenlösung, wodurch die Seide weich wird und sich leicht abspulen läßt. Die Trocknung der Fäden nimmt man auf den Glasspulen selbst vor, weil diese dem Faden, der sich beim Trocknen zusammenzieht, einen überall gleichen Widerstand entgegensetzen, so daß die für den Glanz so wichtige Spannung des Fadens während des Trocknens in gleichmäßiger Weise ausgeübt wird. Zu diesem Zweck bringt man die Glaszylinder in Trockenräume, wo sie 20 Stunden lang der Einwirkung von 50° warmer Luft ausgesetzt werden. Nach völligem Trocknen werden die Spulen einige Stunden in einem besonderen Raum feuchter Luft ausgesetzt, wodurch die Fäden sich anfeuchten und sich dann leicht abhaspeln lassen. Die weitere mechanische Verarbeitung, wie Umspulung, Zwirnen, Haspeln, unterscheidet sich nicht von derjenigen des Nitrocelluloseverfahrens.

[468] Nachdem sich gezeigt hat, daß bei Anwendung von Lauge als Fällmittel die Fäden wasserfester werden, stellt man gegenwärtig das Fällbad mit einer etwa 25 prozentigen Natronlauge mit einem Zusatz von 5 bis 6% Zucker her, in das die Kupferoxydammoniaklösung gepreßt wird. Die gespülten und mit Wasser gewaschenen Fäden, die kupferärmer sind als die ohne Zucker gefällten und eine grüne Farbe zeigen, werden zur Neutralisation der noch vorhandenen geringen Menge Natronlauge durch ein Bad von Aluminium- oder Magnesiumsulfat gezogen und darauf auf den Walzen bei höherer Temperatur getrocknet. An das Trocknen schließt sich das Umspulen, Zwirnen und eventuell Haspeln an, worauf erst die Entkupferung vorgenommen wird.

III. Das Viskoseverfahren.

Die Viskoseseide hat auf dem Markte schnell Eingang und Bedeutung gewonnen. Das Verfahren hat den Vorteil, sich des billigeren Zellstoffs bedienen zu können, und bedarf zur Herstellung der Celluloselösung nur noch zweier billiger Materialien, des Aetznatrons und des Schwefelkohlenstoffs, so daß in bezug auf die Herstellung der Spinnlösung das Viskoseverfahren nicht nur dem Nitrocelluloseverfahren, sondern auch dem Kupferoxydammoniakverfahren wirtschaftlich überlegen ist. Die Schwierigkeiten in der Fabrikation, die in der Natur der Viskose begründet sind, scheinen von einer Reihe von Fabriken gegenwärtig überwunden worden zu sein.

Die Rohstoffe, insbesondere Zellstoff und Schwefelkohlenstoff, unterliegen vor ihrer Verwendung der Untersuchung. Im Zellstoff wird der Gehalt an Wasser, Asche, Holzgummi und eventuell die Kupferzahl bestimmt. Sind wegen Ungleichmäßigkeit des Zellstoffs Störungen im Betrieb zu befürchten, so steht man zweckmäßig von seiner Verwendung ab und nimmt als Ausgangsmaterial Baumwolle, die man sich durch Reinigen im eignen Betrieb leicht in gleichmäßiger Qualität herstellen kann.

Die nächste wichtige Aufgabe ist die Ueberführung der Cellulose durch Behandlung mit starker Natronlauge in Alkalicellulose. Diese vollzieht sich entweder durch inniges Vermischen der Cellulose mit der berechneten Menge Natronlauge in einem Kollergang, worauf man sie 48 bis 72 Stunden lang bei gewöhnlicher Temperatur stehen läßt, ehe man sie mit Schwefelkohlenstoff behandelt; oder man verwendet zur Behandlung der Cellulose einen Ueberschuß von Lauge, mit der man diese in einem entsprechend eingerichteten Zerfaserer vermengt, beläßt sie damit 24 Stunden, preßt sie mittels hydraulischer Pressen auf das dreifache Gewicht oder schleudert mittels Zentrifuge ab und bewahrt die Alkalicellulose dann 48 Stunden in geschlossenen Gefäßen auf. Zur Bildung des Cellulosenatriumxanthogenats bringt man die lockere Alkalicellulose aus 100 kg Zellstoff oder Baumwolle in hölzerne oder eiserne, zylindrische, geschlossene Gefäße, die, Butterfässern ähnlich, sich um eine horizontale Achse drehen und mit einer gut verschließbaren Oeffnung zum Einfüllen und Entleeren versehen sind. Man übergießt sie darin mit 60 kg Schwefelkohlenstoff und läßt die Gefäße 1 bis 3 Stunden bei 15 bis 30° drehen, wodurch eine genügende Durchmischung erzielt wird. Das entstandene Xanthogenat, das noch mehr oder weniger Nebenprodukte, wie Natriumsulfid, Natriumthiokarbonate u. dergl, enthält, unterscheidet sich von der angewandten Alkalicellulose im Aussehen durch die gelbe Farbe und den mehr oder weniger stark ausgeprägten Verlust der Faserstruktur. Den überschüssigen Schwefelkohlenstoff läßt man an der Luft verdunsten und bringt das Xanthogenat zur Auflösung in Natronlauge in einen Mischapparat nach Werner-Pfleiderer. Man setzt das Lösungsmittel (für das aus 100 kg Zellstoff gewonnene Xanthogenat 54 kg Aetznatron in 300 Teilen Wasser) in kleinen Portionen zu, wobei sich eine zähflüssige, dunkelgelbe Lösung, die Viskose, bildet. Die noch sehr dicke und konzentrierte Masse verdünnt man mit Wasser bis zu einem Cellulosegehalt von 9 bis 10%. Wie bei den andern Verfahren, so ist auch hier das Filtrieren der Spinnlösung eine Operation, deren sorgfältige Ausführung zu einem ungestörten Spinnprozeß unerläßlich ist. Es geschieht mittels Filterpressen durch Schichten von Watte, die sich zwischen baumwollenen Geweben befinden. Die filtrierte Viskose bleibt in eisernen Aufbewahrungsgefäßen einige Zeit stehen, bis sie jenen Zustand der Reise erreicht hat, in dem die Celluloseverbindung oder die modifizierte Cellulose durch Fällungsmittel schnell und in fester Form abgeschieden wird. Damit sie die Reise nicht zu schnell erreicht und verdirbt, bewahrt man die Viskose bei Temperaturen unter 10° auf. Man prüft auf Reise, indem man eine Probe der Viskose in verdünnte (50 prozentige) Ameisensäure laufen läßt. Löst sie sich darin auf, so ist sie noch nicht reif, scheidet sich dagegen ein unlöslicher Faden ab, so ist sie spinnreif. Das Verspinnen geschieht heute nach einem dem Säurespinnverfahren von Müller (D.R.P. 187947) ähnlichen. Es besteht darin, daß man die Viskose in einem Brei von Schwefelsäure, die ein Sulfat (Natriumbisulfat) gelöst enthält, verspinnt, wobei die Viskose in Fadenform ziemlich schnell unter Uebergang in hydratisierte Cellulose zersetzt wird. Die Spinnmaschine ist ähnlich gebaut wie die beim Glanzstoffverfahren benutzte. Das aus der Düse in das Fällbad eintretende Fadenbündel wird nach der Koagulation einer rotierenden Spule zugeführt, auf der sich der Faden unter Hin- und Herleitung durch einen Fadenführer gleichmäßig aufrollt. Ist die Spule genügend besponnen, so wird sie zur Entfernung der Säure und der Salze aus der Seide gründlich mit Wasser gespült. Das Auswaschen erfolgt systematisch derart, daß die zu Gruppen vereinigten Spulen, stets vollständig mit Wasser überdeckt, der Auslaugung mit immer reinerem Wasser ausgesetzt werden bis zur vollkommenen Abwesenheit von anorganischen Produkten. Die ausgewaschenen Fäden kommen nun in die Spulerei, wo sie von den Spinnspulen auf kleine hölzerne Zwirnspulen übergeführt werden. Erstere gehen in die Spinnerei zurück, während letztere nach dem Trocknen der darauf befindlichen Seide in die Zwirnerei wandern, wo auf Etagenzwirnmaschinen in bekannter Weise die Zwirnung unter Umwicklung des Fadens auf Pappspulen erfolgt. Nachdem noch die Seide auf Haspelmaschinen in Strähne geweift worden, ist die Rohseide fertig.

[469] Die drei vorstehend behandelten Verfahren zur Herstellung von Kunstseide sind bisher die einzigen von industrieller Bedeutung. Eine systematische Darstellung der Fabrikation der künstlichen Seiden, sowohl der allgemeinen Grundlagen als auch der speziellen Verfahren s. [1], Eine übersichtliche Sammlung einer Reihe wichtiger Kunstseidenpatente und eine ausführliche Beschreibung der Eigenschaften der Handelskunstseiden bietet [2]. Ueber Viskose findet man Näheres in [3].


Literatur: [1] Becker, Die Kunstseide, Halle a. S. 1912. – [2] Süvern, Die künstliche Seide, Berlin 1912. – [3] Margosches, Die Viskose, Leipzig 1906.

R. Möhlau.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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